Gespräche
10.09.2025 - Das Gespräch mit Sophia Klink

Autorin Sophia Klink
Sophia Klink,
ist studierte Biologin und promovierte über die Symbiose zwischen Bakterien und Pflanzen. Sophia Klink schreibt auch Lyrik und wurde mit dem Literaturstipendium der Stadt München und dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis beim Literarischen März ausgezeichnet. Mit den Stipendien des British Council und der Stiftung Kunst und Natur wurde ihre Schreibkunst gefördert, ebenso mit Aufenthaltsstipendien der Roger Willemsen Stiftung, des Adalbert Stifter Vereins und der Villa Sarkia in Finnland. Im Frühjahr 2025 erschien Sophia Klinks Lyrikdebüt beim Verlag hochroth München. Doch ein Forschungsaufenthalt am Weißen Meer in Russland inspirierte sie zu den großartigen Roman Kurilensee, der soeben in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen ist.
Hallo Sophia,
wie war der Aufenthalt auf der Forschungsstation in Russland? Du hast aus Deiner Forschungsreise ein tolles Buch gemacht. Gratuliere. Es ist ein spannender Roman über Naturbetrachtungen und globale Phänomene ziemlich am Ende der Welt im Fernen Osten nördlich von Japan. Dort in ein Forscherleben einzutauchen, wo Lachsbestände durch Klimawandel und Überfischung bedroht sind, und die Liebe auch. Dort zu sein war nichts alltägliches und war bestimmt auch herausfordernd. Hast Du Sehnsucht nach dem Kurilensee?
Ja, sehr. Am Kurilensee selbst bin ich aber nie gewesen, sondern nur auf einer ähnlichen Forschungsstation in Karelien nahe der Grenze zu Finnland. Aus meinen Erlebnissen dort, zusammen mit meiner Recherchearbeit zu Kamtschatka, ist der Roman entstanden.
Erzähl, wie ist Dein Interesse an Biologie entstanden?
Das liegt weit zurück. Ich wusste immer schon als Kind, dass ich schreiben will. Gleichzeitig wollte ich unbedingt verstehen wie der menschliche Körper, Pflanzen und Zellen funktionieren. Ich wollte über ihre Schönheit lernen. Mein Interesse an der Biologie war also auch ein Ästhetisches, neben dem rein intellektuellen Reiz, in Theorien und andere Weltkonzepte einzutauchen. Da war für mich ein naturwissenschaftliches Studium die logische Ergänzung zum Kreativen.
Warum hast Du Dir diese ferne Forschungsstation ausgesucht?
Ich habe eine Zeitlang in der Zoologie in einer Arbeitsgruppe gearbeitet. Da wurde zufällig eine Ausschreibung für einen Sommerkurs für Masterstudierende herumgeschickt, eben auf jener Station in Russland. Dort hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, in einer Wissenschafts-Gemeinschaft wirklich zu Hause zu sein. Das gemeinsame Arbeiten war so aufregend, und die Landschaft krass und einzigartig. Die Trauer darüber, dass es diesen Ort irgendwann durch den Klimawandel so nicht mehr geben wird, hat mich total mitgenommen und angetrieben, darüber zu schreiben. Romane über die Trauer, ein Ökosystem schützen zu wollen und es nicht zu können, habe ich viel zu selten gelesen.
Auf der Forschungsstation arbeiten Kollegen aus verschiedenen Nationen. Gab es bei der Arbeit oder in der Kantine politische Diskussionen?
In unserer Gruppe hat sehr schnell der Konsens gegolten, dass nicht über Politik gesprochen wird. Damals, 2016, schienen darüber alle erleichtert zu sein. Auch andere negative Themen haben wir versucht, für diese wenigen Wochen auszuklammern. Es hat sich angefühlt wie ein geschützter Raum, fernab aller Krisen und Konflikte. Für uns hat das kooperative Miteinander gezählt, die internationale Zusammenarbeit, die in den Naturwissenschaften zum Glück großgeschrieben wird.
Muss man, wenn man so einen Forschungsauftrag annimmt, sich auch mit der dortigen Politik beschäftigen?
Ich finde, dass man sich immer mit Politik beschäftigen sollte, gerade des Landes, in dem man sich befindet. Ich war auf meiner Reise auch in Moskau und habe einige Leute kennengelernt, die mir Einblick in die Situation gegeben haben. Dort haben wir natürlich umso mehr über Politik und die schrecklichen Verhältnisse gesprochen.
Ohne trockene Sachlichkeit und ohne rührselig zu werden, beschreibst Du packend den Forschungsalltag; Die Blicke der Bären, Du guckst unters Wasser, und der Freund, der länger beim Fische Zählen wegbleibt, als abgemacht, erregt Besorgnis, denn die Lachsbestände werden immer weniger. Das alles hast Du erlebt?
Nein, natürlich nicht. Das ist ein Roman, eine fiktive Geschichte, aber sie basiert auf einem echten Ökosystem und realen Forschungsergebnissen. Im Roman wie auch in der Wirklichkeit lebt eine kleine Forschungsgruppe am Kurilensee in Kamtschatka. Meine Romanfiguren sind an Menschen angelehnt, die es tatsächlich gibt. Vieles habe ich mir aber auch dazugedacht oder überlagert sich untrennbar mit meinen eigenen Erfahrungen in der biologischen Feldarbeit.
Schade, dass in dem Buch keine Fotos abgebildet sind.
Das war ein Leben in organisierter Wildnis, und sicher ist es sinnvoll ein Gewehr dabei zu haben, um sich vor Gefahren zu schützen. Wo hast Du schießen gelernt?
Ich kann nicht schießen und will auch gar kein Gewehr in die Hand nehmen. Am Kurilensee gibt es enorm viele Braunbären, die friedlich sind, wenn man sie in Ruhe lässt. Zur Sicherheit gehen die Menschen trotzdem mit Gewehr in den Wald. Mir war es wichtig, die Wildnis nicht als blutrünstig darzustellen, im Gegenteil eher den Menschen auf sein Verhalten hin zu befragen. Aber das Gewehr ist so ein schönes literarisches Spannungsmittel, das wollte ich nicht verschenken.
Sophia, Du bist Biologin. Wo hast Du das literarische Handwerk gelernt, um diesen Roman zu schreiben?
Das war ein längerer Prozess, über viele Texte hinweg, in denen ich mit Sprache experimentiert habe: Wie kann man einen Inhalt in eine Form bringen, sodass es aufgeht? Wie kann ich das kleine naturwissenschaftliche Detail für eine Geschichte nutzen? In dieser Zeit habe ich viele Schreibwerkstätten besucht, die mir enorm geholfen haben. Vor allem die Münchner Romanwerkstatt hat mein Projekt über Jahre begleitet. Das gemeinsame Sprechen über Texte finde ich für das eigene Schreiben essenziell.
Ich kann nicht aufhören Deinen Roman zu lesen, denn er ist ergreifend, auch poetisch. Wie sensibel Du Prozesse betrachtest. Zum Beispiel:
Aus dem Buch:
Natürlich haben wir uns nicht getraut, Fjodor zum Kartoffelschälen zu verpflichten. Also helfe ich Yulia, den Lachs auszunehmen während sie die Kartoffel schneidet. Ein bisschen moralische Unterstützung kann sie sicher gebrauchen. Ich führe das Messer schräg unter dem Kiemendeckel ein, schneide durch Wirbel und Nervenstränge. Den abgetrennten Kopf lasse ich nahe am Körper liegen, als wollte ich die Illusion seiner Unversehrtheit so lange wie möglich aufrechterhalten. Ich lasse zu, dass sein linkes Auge mich ansieht, während ich die Innereien in eine Schüssel streiche.
Mit der flachen Klinge trenne ich das Filet von der Mittelgräte. Im Lachsfleisch gehen Nähte auf, als wären sie schon immer dort vorhanden gewesen. Muskelbündel klaffen mir entgegen, hell orangene mit weißen Myosepten. Die Muskeln bluten kaum, obwohl sie von feinen Arterien durchzogen sind. Ich glaube die Fasern und Fibrillen zu sehen, in denen sich die längsten aller Proteinfäden wie Finger ineinander verschränken. Actin und Myosin klettern aneinander entlang, mit molekularen Füßchen, die sich in den Gelenken abwinkeln und vorwärts schieben.
Fünfzig Schritte in einer Sekunde und schon ist mein Muskel um die Hälfte verkürzt. Es sind nicht meine Füße, die mich bewegen, sondern die Proteine. Sie laufen mit mir. Die wirkliche Bewegung passiert nicht auf meiner, sondern auf ihrer Ebene.
Tun Dir die Fische leid?
Auf jeden Fall. Das moralisch Untergründige und die Frage nach dem Töten hat mich immer beschäftigt: Was fühlen anderen Organismen, wie empfinden sie Schmerz? Inwiefern haben andere Lebewesen ein Bewusstsein? Wenn man biologische Forschung betreibt, zerstört man in den meisten Fällen auch Leben. Diese Fragen aufzuwerfen, ist mir ein großes Anliegen.
Forschung zu betreiben, ist kein belangloser Zeitvertreib. Hast Du mal die Forschung in Frage gestellt?
Forschung bedeutet ja: wach bleiben, lernen wollen, Dinge hinterfragen und nicht stillstehen. Sowohl im Schreiben, als auch im wissenschaftlichen Forschen erfahre ich mehr über mich selbst und meine Umwelt. Wie „Wissen“ generiert wird, das ist nochmal eine ganz andere Frage. Den Forschungsbetrieb habe ich aber schon oft in Frage gestellt, ja, den kritisiere ich sehr. Vieles funktioniert gar nicht oder steht sich selbst im Weg: die Hierarchien und Pseudokonkurrenz, wie Gelder vergeben werden, ständig müssen Anträge gestellt werden, und die Chance auf Festanstellung ist mehr als gering.
Wie sieht Deine Zukunft aus?
Mal sehen. Es ist schwierig in der Wissenschaft langfristig Fuß zu fassen.
Dass Du promoviert hast, wird Dir das nicht helfen?
Bei der Wohnungssuche – wir lachen.
Der Roman hat ein sehnsuchtsvolles Ende. Die Biologin Anna schaut zum Himmel
und hofft, bald den ersehnten Helikopter zu sehen, der ihren Kollegen und Freund zurückbringt. Erfahren wir Leserinnen und Leser im nächsten Roman, wie das Forscher-Leben am Kurilensee weiter geht?
Diese Geschichte ist für mich abgeschlossen. In meinem nächsten Roman geht es aber sicher wieder um Natur und Wissenschaft.
Vielen Dank für das Gespräch.
©Steffi.M.Black 2025 (Text)
©Heike Bogenberger (Bild)