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Gespräche



 16.09.2024 - Der nackte Wahnsinn 



Autor Thomas Kraft

Thomas Kraft ist Schriftsteller, Literaturkritiker und Kulturmanager von Literatur-Festivals. Im MaroVerlag Augsburg erschienen von Thomas Kraft die Biographie über Leonard Cohen: „Cohen“, der Erzählband „Tomaten aus Tulsa“ und der geheimnisvolle Roman „Alles Tarnung“. Sowie der Roman „Zeit der Narben“ im Conte Verlag. Die Liste der Veröffentlichungen ist lang. Sein neuestes Buch “Der nackte Wahnsinn“, ein München Roman, ist jetzt im Münchner Verlag Allitera erschienen.

Ich zitiere aus dem Buch „Der nackte Wahnsinn“:

DIE STADT HAT sich verbarrikadiert. An den Einfallstraßen bilden sich lange Staus. Überall Verengungen, Umleitungen, Baustellen. Rotweiße Absperrungen machen einem das Leben schwer. Ständig muss man ausweichen, Umwege fahren, Platz machen. Als würde mit Gewalt versucht, niemanden in die Stadt vordringen zu lassen. Warum eigentlich, frage ich mich und überlege, ob diese Taktik bei mir schon verfängt. Ich bin genervt, ich hasse unnützes Warten. Zudem ist es heiß, verdammt heiß. Wenn ich das Fenster öffne, dringt feuchte, dampfige Luft ins Wageninnere. Es ist, als schneide man einen Kuchen an, der eben aus der Backröhre kommt. Jede Bewegung ist anstrengend, ich muss mich zwingen, konzentriert zubleiben. Dabei ist es erst 7 Uhr morgens.
So beginnt Ihr mitreißender München-Roman mit einer Wohnungssuche für den Sohn. Papa ist Architekt und wohnt seit 40 Jahren in der Stadt. Auf der Wohnungssuche erinnert er sich an ein literarisches München der 1970/80er Jahre und an historischen Persönlichkeiten, die ein Begriff für München sind. Im Laufe des Romans wird der Architekt zornig. Stadtplaner und Mietspekulanten kommen hier nicht gut weg. Sind Sie immer noch zornig?
Naja, ein Roman ist eine Fiktion, eine erfundene Geschichte und man darf die Hauptfigur des Romans nicht mit mir gleichsetzen. Nicht destotrotz habe ich als Münchner, der ich lange war, meine Erfahrungen gemacht. Auf dem Immobilienmarkt als Mieter, teilweise in prekären Verhältnissen, teilweise in besseren Verhältnissen, über die Jahre hinweg. Aber auch als der, der die Stadt ästhetisch wahrnimmt.
Mein Vater, dem das Buch gewidmet ist, war bei der Stadt Bamberg im Stadtplanungsamt beschäftigt, daher habe ich schon früh einen Blick für Architektur und städtebauliche Zusammenhänge bekommen. Das hat mich all die Jahre begleitet. Ich würde nicht sagen, dass die Hauptfigur zornig ist, aber schon als wacher Beobachter durch die Stadt geht und vergleicht, wie die Stadt während seiner Studentenzeit war und wie sie sich jetzt darstellt. Zumal er selbst Architekt ist und versucht, seine Vision einer menschenfreundlichen Stadt umzusetzen.

Der Schluss vom nackten Wahnsinn ist sehr gelungen, den nehmen wir aber den Leser*Innen nicht vorweg. Interessant finde ich den Blick auf die Personen, die in München Geschichte gemacht haben. Das ist eine gute Anregung, sich mit diesen Literaten zu beschäftigen, oder was war Ihre Absicht?

Für mich rutschen die Zeiten immer ineinander, also Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Das begreife ich oft als einen gemeinsamen Zeitraum: Vergangen, das ist gegenwärtig, gegenwärtig scheint manchmal schon vergangen zu sein, kaum dass man es gedacht hat, ist es schon Vergangenheit, und jeder Gedanke, den wir vorauswerfen, liegt in der Zukunft, aber wir denken ihn gerade jetzt. Die Figuren, die hier im Roman auftauchen, haben Spuren hinterlassen, Wie ist das heute? Ist das noch gegenwärtig?

Es ist sehr charmant auf Seite 109, da geht es um den Fasching in München. Sie schreiben, durch die Maske sei alles Tarnung. Korrekt, aber auch "Alles Tarnung“ ist ein poetischer Roman von Ihnen über ein Leben in Bamberg, ohne dass der Name der Stadt erwähnt wird. Das ist große Kunst und auch eine Liebeserklärung an die Stadt Bamberg. Davon könnte es doch eine Fortsetzung geben?
Ich lebe ja nicht mehr in Bamberg und vielleicht habe ich auch alles dazu erzählt, was ich sagen kann. Außerdem habe ich mit dem Schreiben aufgehört.

Wirklich, das ist mir entgangen. Warum?
Dieser Roman „Der nackte Wahnsinn“ und noch ein Buch über Amerika erscheinen in diesem Herbst. Im Amerika-Buch geht es um amerikanische Kultur, spezielle Musik, und die Frage, wie sich Politik und gesellschaftliche Zustände in der Musik widerspiegeln. Das sind meine letzten Bücher.

Wie viele Bücher sind es geworden?

Insgesamt habe ich 40 Bücher veröffentlicht. Das, was ich erzählen wollte, habe ich erzählt. 40 Bücher reichen.

Überhaupt sind Ihre Bücher eindrucksvoll und spannend: ich denke an den Roman „Zeit der Narben“. Junge Journalisten sind auf Spurensuche von Hanna Reitsch, einer deutschen Fliegerin und Nazi-Ikone, die nach dem Krieg in Ghana eine Segelflugschule betrieb. Die Journalisten werden auf ihrer Recherche mit dem Sklavenhandel der Brandenburger im 17.Jahrhundert konfrontiert. Ihre Recherchen werden in Deutschland sabotiert bis hin in die 1980er Jahre. Auch Musik- und Kino-Geschichten haben Sie literarisch festgehalten, die oft in der Literaturwelt verloren gehen. Kommt demnächst ‘was Neues hinzu?
Zur Musik, wie oben erwähnt, kommt jetzt im Reiffer Verlag „Americana. Ein zerrissenes Land im Spiegel der Country Musik“ heraus. Seit den 1990er Jahren gibt in der Country Musik einen neuen Zweig, der sich auch verstärkt politisch äußert, der heißt Americana. Ich wollte diese Veränderung in einem Buch darstellen, denn es gibt nichts dazu, nicht einmal in Amerika. Mir ist dann klar geworden, das muss ein politisches Buch werden. Im Buch ist ein großer Anhang mit einer Auflistung von 500 Platten, die ich vorstelle und auch kommentiert habe, und eine Playliste von 2000 Lieder, die man sich über einen QR-Code anhören kann, Voraussetzung ist, dass man bei Spotify eingetragen ist.

Zurück zum "Nackten Wahnsinn". Es macht so einen Spaß, dem zuweilen auch humorvollen Architekten durch Zeit und Raum zu folgen. Er trifft ja nicht nur die Literaten und Geistesgrößen, die man früher in München antreffen konnte. Wo zieht es Sie selbst immer wieder hin, wenn Sie in München sind?
Eigentlich nicht an einen bestimmten Ort, aber es gibt einige, an denen ich mich sofort wohlfühle, obwohl es Orte sind, die nicht besonders sind. Der Kern bleibt für mich Schwabing, das ist eine Gegend, die ich immer noch sehr mag.

Ist es richtig, dass Sie Ausstellungen kuratieren?
Das habe ich gemacht, aber jetzt nicht mehr.

Vor langer Zeit haben Sie ein Buch herausgebracht „Herrsching zur Zeit Christian Morgensterns“. Was kann man dazu heute noch in Herrsching entdecken?

Ich glaube nichts mehr Neues, nichts, was nicht damals im Rahmen dieser Ausstellung und dieses Buches bereits dokumentiert wurde. Da ist das Kurpark-Schlösschen, die Seepromenade. In meinem eben erschienenen Band „Dichterfreunde“ ist ein ganzes Kapitel Christian Morgenstern gewidmet.

Was gefällt Ihnen mehr an der Literatur, Romane zu schreiben oder Sachbücher?
Was ich lieber schreibe? Alles zu seiner Zeit. Ich möchte das nicht gegeneinander aufrechnen wollen. Es gibt Dinge, die verlangen erzählt zu werden, sie verlangen eine literarische Form, da will man Handlung, will Spannung erzeugen, und dann gibt Fragen, wo es um die Fakten geht. Also – es hängt vom Thema ab.

„Der nackte Wahnsinn“ ist auch Nostalgie, sicher nicht nur für mich, einige der Begegnungen hatte ich auch. Gerne denke ich an Roger Willemsen, der in der Basis Buchhandlung viele Bücher gekauft hat. Wir hatten immer ein Gesprächsthema. Vermissen auch Sie Orte wie das Café Adria auf der Leopoldstraße, den Jazzclub Domicile, das Café Größenwahn, die Buchhandlungen, die Bars? Nun ja, kein Gejammer, jede Generation hat ihre Kultur. Doch wie kann Ihr Zorn über die Stadtplaner gebremst werden?

Die Hauptfigur wird nicht zorniger, er wird zunehmend enttäuschter, er ist frustriert und desillusioniert. Er hat zig Besichtigungstermine und nichts funktioniert. Der Immobilienmarkt scheint für andere Menschen da zu sein, nicht für ihn, seinen Sohn, der als Student in der Stadt gerne wohnen und studieren möchte.

Ein spannender Roman-Abend wird auf jeden Fall der Freitag, 27.9.2024, in der Seidlvilla. Nicolaiplatz 1b. Da findet die Buchpremiere von „Der nackte Wahnsinn“ statt. Gert Heidenreich wird den Abend moderieren.

Thomas Kraft, Sie haben viel über Literatur geschrieben, Gedichte verfasst, Themen in Stories gepackt, alles in Wikipedia zu finden, und Sie haben drei hervorragenden Romane geschrieben. Wir Leser*innen warten auf das Erscheinen des nächsten Romans. Vielleicht doch noch einen?
Vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2024 (Text)
©Agentur Th.Kraft (Bild)