Gespräche
26.07.2024 - Das Gespräch mit Stefan Wimmer
Stefan Wimmer
Hallo Stefan, Dein Buch „Die 12 Leidensstationen nach Pasing“ wurde ziemlich begeistert in der „Süddeutschen Zeitung“ besprochen und stand auf der Longlist des ersten deutschen Popliteraturpreises.
„Sommer 1985. Die Kajal-Clique hält die Welt in Atem. Zumindest die Münchner Vorstadt Pasing, in der die vier halbwüchsigen Schüler durch die Straßen streunen und die Gegend unsicher machen“, hieß damals die Inhaltsangabe.
Jetzt ist eine Fortsetzung von „Die 12 Leidensstationen nach Pasing“ erschienen: „Lost in Translatione“ (Blond Verlag, München). Auch dieses Buch ist sehr gewagt, aber vergnüglich zu lesen. Wieder ist der Hauptprotagonist die „Kajal-Clique“, die berüchtigte New-Wave-Clique aus Pasing, sie macht Ferien am Strand von Milano Marittima, in der Nähe von Rimini. Die Cliquen-Mitglieder Meindorff, Thorwald, Deibel und Wimmer träumen vom großen Abenteuer der Liebe und erleben die Dynamik der ersten freien, bisweilen auch anzüglichen Begegnungen mit Mädchen, mit allen Höhen, Tiefen und Überraschungen.
Welche Zielgruppe will Dein Buch Lost in Translatione erreichen?
Ich mache klassische, turbulente, anarchische Comedy – ein wenig im Stil von Ricky Gervais oder Verrückt nach Mary –, deswegen glaube ich, dass das Buch nicht nur Leute anspricht, die in den 1980er Jahren ihre Jugend verbracht haben, sondern auch junges Publikum. Gutgemachte Comedy läuft immer. Mit der ganzen Musik und der sexuellen Freiheit hat das Buch freilich einen gewissen Retro-Touch.
Nostalgie? Ob Jungs heute immer noch so empfinden, wie damals die Kajal-Clique?
Ich denke ja. Es geht da um menschliche Konstanten des Coming of Age. Einer der Unterschiede, die ich freilich bei heutigen männlichen Jugendlichen wahrnehme: Ich habe das Gefühl, dass junge großstädtische Männer von heute gegenüber Mädchen viel verängstigter sind als wir früher. In der Öffentlichkeit wirken sie manchmal neben den Mädchengruppen wie übergangene Anhängsel.
Siehst Du in Deiner Schriftstellerei eine Aufgabe oder gar Verantwortung?
Meine Aufgabe ist es, die Leute zu unterhalten. Nach zwanzig Jahren Berufserfahrung glaube ich – nebenbei gesagt –, dass mein großer Ruhm erst in 300 Jahren kommen wird: Nämlich wenn Außerirdische mit wurstförmigen, hin-und her federnden Glubsch-Augen meine Bücher lesen und dann zum Schluss kommen, dass ich wahrscheinlich der beste komödiantische deutsche Schriftsteller des 21. Jahrhunderts gewesen bin. Aber ich tue dennoch mein Bestes, dass die Qualität ab und zu jetzt schon Leute erkennen.
Was waren die wichtigsten Erfahrungen, die Dein Leben verändert haben?
Diverse Nächte mit Frauen. Das erste Mal in die Berge gegangen zu sein. Mit meinem amerikanischen Freund Eric 2001 Pilze ausprobiert zu haben. Das erste Mal Lou Reed gehört zu haben. Bücher wie Salingers Der Fän¬ger im Roggen, Leonhard Franks Die Räuberbande, Denis Diderots Jacques le Fataliste, Strindbergs Nach Damaskus...
Du bist jetzt nicht mehr Jugendlicher, sondern ein erwachsener Mann. Was würdest Du sagen, ist der Hauptunterschied zu den Entwicklungsstufen von früher?
Ich kann bei mir keine allzu große Entwicklung feststellen. Übrigens auch nicht bei meinen Freunden. Vielleicht waren wir im Alter von 15 schon frühvollendet, junge Genies, oder wir sind einfach steckengeblieben, stagniert und nie erwachsen geworden (lacht).
Verdienst Du denn Deinen Lebensunterhalt mit dem Bücherschreiben?
Das ist praktisch unmöglich. Von Belletristik kann man leider nicht leben. Ich finanziere meine komödiantischen Eskapaden durch Kulturjournalismus für Sender wie die ARD und das ZDF.
Wenn Dein Leben ein Buch wäre, welchen Titel hätte es?
I Did It My Way.
War es schwer, einen Verlag für Lost in Translatione zu finden?
Es war nicht nur schwer, es war unmöglich. Obwohl Die 12 Leidensstationen nach Pasing (das Buch wollte übrigens auch keiner) Super-Kritiken bekommen hat und für einen Literaturpreis nominiert war, habe ich dennoch zwei weitere Jahre damit verplempert, Lost in Translatione anzubieten. Die Antworten der Cheflektoren, mit denen ich zum Teil Arbeitsessen hatte, waren immer dieselben: „Nein! Nein! Diese Clique, die Sie da schildern, ist ethnisch viel zu wenig divers. Da müssen viel mehr Personen mit Migrationshintergrund rein, viel mehr schwul-lesbische Protagonisten etc. Und dann ist Ihr Humor viel zu bayerisch. Außerdem habe ich Angst, dass meine Unterlektorinnen über Ihre Witze bezüglich Mann und Frau nicht lachen können...“ Der deutsche Literaturmarkt ist in seinen Vorgaben inzwischen fast schon totalitär. Ich habe darüber einen Essay mit meinen Erfahrungen geschrieben, in Lettre (Nr. 144, 2023).
Wie ist Lost in Translatione dann schlussendlich erschienen?
Ich habe diesen Lektoren sinngemäß erklärt, dass sie sich zum Teufel scheren sollen, und mit Freunden einen eigenen Verlag gegründet.
Wenn Du ein Buch schreibst, weißt Du dann am Anfang schon, wie die Geschichte enden wird?
Es passiert oft, dass ich den Schluss eher kenne als den Anfang. Ich fange Bücher oft in der Mitte zu schreiben an, dann mache ich mich an den Schluss, dann an den Anfang, je nachdem, welche Szenen ich am liebsten mag.
Funktioniert das?
Ja, das funktioniert gut. Man muss ohnehin die Szenen öfters umstellen, mit Gags versehen und kondensieren.
Sind Deine Fans auch die Erstleser Deiner Bücher?
Das ist ein sehr schwieriges Thema. Die meisten Leute – dies trifft auch zu 100 % auf Lektoren zu – sind nicht in der Lage, schriftstellerische Fehler zu analysieren und vor allem zu benennen. Sie spüren zwar, dass irgendetwas nicht stimmt, können dies aber nicht ausdrücken. Für einen Schriftsteller ist es fast sinnvoller, er legt sein Zeug für zwei Monate beiseite, und prüft es dann nochmals selbst.
Schriftsteller haben oft Rituale, wenn sie ein neues Buch zu schreiben anfangen. Glaubst Du an die Kraft der Rituale und hast gar selbst eins?
Nein, ich kann praktisch überall schreiben. In der U-Bahn, auf dem Klo, in einer Gaststätte. Mein Tagesablauf sieht so aus, dass ich 10 Stunden am Tag mit nichts anderem beschäftigt bin, als Texte zu schreiben und zu korrigieren. Es gibt mitunter Szenen von drei Seiten, die so schwierig sind, dass ich an ihnen zwei Wochen lang feile, bis ich zufrieden bin.
Wie reagiert die Presse auf Lost in Translatione?
Die Resonanz ist sehr gut. Ich halte es das beste Buch, das ich bisher geschrieben habe, weil es das lustigste, das positivste und das vorwärtstreibendste ist. Außerdem hat es den meisten Sex. Wir haben allein in den ersten Wochen schon mehrere hundert Stück verkauft. Auch als E-Book läuft es sehr gut.
Der Autor Benedict Wells prophezeit, dass Lost in Translatione ein Kultbuch wird. Warum?
Da musst Du ihn selbst fragen (lacht). Er hat mein letztes Buch – Die 12 Leidensstationen nach Pasing – während des ersten Corona-Lockdowns begeistert besprochen. Benedict Wells ist ein unglaublich unprätentiöser, grundsympathischer, toller Kerl. Ich habe ihm ein paar Sachen zu verdanken. Wir versuchen seit drei Jahren, uns endlich mal persönlich zu treffen. Ich hoffe, dass es diesen Herbst klappt.
Interessant an der Kajal-Clique ist, dass bei ihr der Wert „Solidarität“ eine hohe Priorität hat. Ist das immer noch so?
Ja, die Kajal-Clique gab es in diesem Sinne ja wirklich, und ihre Mitglieder halten nach wie vor zusammen wie Pech und Schwefel. Auch wenn wir uns innerhalb des Buchs oft gegenseitig auf die Schippe nehmen und gegeneinander intrigieren, funktioniert eine solche Clique natürlich nach dem Gesetz eines Gangster- oder Westernfilms.
Wie geht es weiter? Schreibst Du am nächsten Buch? Also wie die Clique erwachsen wird und die Welt mit anderem Auge sieht? Bleibt sie radikal?
Ja, der dritte Band ist schon fertig. Die Kajal-Clique fährt dort ins Ski-Lager, und die Turbulenzen mit Lehrern, Konkurrenten und Mitschülerinnen sind natürlich vorprogrammiert. Im Augenblick sitze ich am vierten Band, in dem die heile Welt der 1980er Jahre zunehmend zerfällt und die Clique älter wird. Es wird reichlich melancholisch, so wie in Helmut Dietls Fernsehfolge „Ois anders.“
Dann bin ich schon neugierig auf die nächsten Bücher und freue mich darauf, sie zu lesen. Sodann – viel Erfolg und viel Publicity. Danke für das Gespräch.
(Zum Pasing-Buch gibt es auch ein schönes Gespräch mit Dir hier auf der Webseite von Bücher & mehr e.V. www.buecher-und-mehr.org am 15.Juli2020 - in der Rubrik Gespräche).
©Steffi.M.Black 2024 (Text)
©Sebastian 1 (Foto)