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Gespräche



 12.07.2024 - 10 Fragen an 



Rafael Seligmann

10 Fragen an Rafael Seligmann

Rafael Seligmann ist Autor vieler Romane und Sachbücher. Sein neuestes Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin, Trump, Netanyahu. Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann“ ist im Herder Verlag erschienen.
Rafael Seligmann wirft in seinem neuen Buch einen einzigartigen Blick auf die politischen Karrieren führender Persönlichkeiten wie Putin, Trump und Netanyahu, Erdogan und Xi Jinping, sowie ihre Dynamik dahinter. Er zeigt auf, dass trotz individueller Unterschiede erstaunliche strukturelle Gemeinsamkeiten bestehen. Vor allem im Verhältnis zwischen den Anführern und ihren willigen Mitläufern
.


Atemlos verfolgt man in Ihrem neuesten Buch Porträts von fünf Brandstiftern, Politiker die zurzeit die Welt beherrschen wollen und die Menschen einschüchtern. Welche Gedanken haben das Buch entstehen lassen?
In autoritären Regimen sehnen sich viele nach starken Männern. In einer zunehmend komplexen Welt werden einfache Lösungen gesucht. Die sogenannten starken Männer bieten diese Lösungen scheinbar an. Immer mehr Menschen machen sich keine Gedanken, dass die vermeintlichen Patentlösungen der starken Männer zu einer Spaltung der Gesellschaft führen und Konflikte heraufbeschwören, dass so Unfrieden erzeugt wird. Die Konsequenzen haben mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben.

Brandstifter sind schlau und verlogen, das bekommt man jeden Tag durch die Presse mit. Demokraten wehren sich dagegen. Geschieht das in Ihren Augen zu wenig?
Zuwenig energisch. Demokratischen Politikern, die den Zugang zu den Menschen nur schwer herstellen können, wird nicht zugetraut, entscheidende Fragen der Gegenwart ihrer Länder und Bevölkerung zu lösen.

In einem Fernseh-Interview sprechen Sie davon, dass das Leben der Juden in einer Gesellschaft einem Seismograph für Toleranz und Demokratie gleicht. Zurzeit ist das Bild ein düsteres in Deutschland. Zu düster?
Leider ist das Bild düster. Um es klar auszudrücken, es ist erschreckend, dass Juden knapp 80 Jahre nach der Shoah Angst haben müssen, sich als Juden erkennen zu geben, selbst wenn sie keine Bindung an Israel haben. Das ist erschreckend. Früher waren die traditionellen Feinde der Juden Rechtsradikale, Alt- und, Neonazis, Rassisten. Heute kommen teilweise radikale Migranten, Islamisten, Linksradikale dazu, die in Juden legitime Ziele ihrer Aggression und ihres Hasses sehen. Daher habe ich auch das Wort Seismograph verwendet. So wie man sich zu Juden benimmt, benimmt man sich auch zu anderen Minderheiten.

Wer sind die Mitläufer der Brandstifter? Wer gehört zu ihnen? Fühlt sich der Leser, die Leserin angesprochen? Das ist ja das spannende an Ihrem Buch, dass hier die Mobilisierungsmethoden unter die Lupe genommen werden. Wie war es bei der Recherche?
Die Mitläufer der Brandstifter, einerlei ob in Deutschland oder anderswo, sind Leute mit schwachem Ego. Sie trauen sich nicht zu, vitale politische Fragen selbst zu entscheiden. Sie suchen nach dem vermeintlich allwissenden und allmächtigen Führer. Bemerkenswert ist es, dass diese Männer über 70 Jahre alt sind. Denen wird zugetraut, dass sie eine Lösung haben.

Sie waren Politikberater, war das ein dankbarer Job?

Nein. Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft sind oft gewöhnt, vertikale Befehlsketten anzunehmen. Freiheit und Demokratie funktionieren nicht über Befehl und Gehorsam. Der Berater muss deutlich machen, dass Bürger überzeugt werden müssen. Wenn das gelingt, hat man schon einen entscheidenden Teil erreicht.

Möchten Sie Bürger politisieren?
Immer und unbedingt. Ich möchte jeden zur politischen Reife anhalten. Der Riesenvorteil der Demokratie ist, jeder kann mit-entscheiden, zum Beispiel bei der Wahl.

Ihre Autobiographie: „Deutschland wird Dir gefallen“ ist nicht nur eine beeindruckende Beschreibung Ihres Lebens und Ihrer politischen Interessen, es ist auch ein wichtiges Buch, das die deutsch-jüdische Gegenwart erzählt statt Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Das Buch haben Sie 2010 geschrieben. Werden Sie heute noch darauf angesprochen?

Immer wieder. Ich habe unterdessen ein weiteres Buch geschrieben, das nicht nur autobiographisch ist, vielmehr die Zeit um 1957 in Deutschland schildert. Das Buch heißt „Rafi, Judenbub. Die Rückkehr der Seligmanns nach Deutschland“. Ich habe unterdessen mehr erlebt und Erfahrungen gesammelt. Die Gesellschaft hat sich stark verändert. Sie ist freier geworden, aber auch in den letzten Jahren weniger achtsam, man lässt egoistische, manche fremdenfeindliche Gedanken zu und toleriert autoritäre Parteien.

Als Historiker und Journalist verfassen Sie zahlreiche Romane und zeitgeschichtliche Analysen und kommentieren für verschiedene Medien das Tagesgeschehen. Was beschäftigt Sie zurzeit am meisten?

Ich mache mir große Sorgen, dass das demokratische Europa seine Freiheit einbüßt, einmal im inneren, weil autoritäre Parteien Zulauf bekommen haben. Als Ergebnis der Ratlosigkeit einer komplexen Welt. Immer weniger trauen sich zu hier Lösung zu finden. So beginnt die Suche nach „Führern“. Ich überlege, wie gewinnen wir die Menschen wieder für die Demokratie. Denken und Handeln zu bestärken, das die Freiheit wertschätzt und freiheitliche Parteien unterstützt.
Die Wertschätzung für Freiheit und Demokratie geht zurück. Sie wird teilweise verachtet, dem müssen wir mit aller Kraft entgegentreten.

Sind Sie resigniert und haben das Gefühl, alles geht den Bach ‘runter?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Kämpfer für Menschlichkeit und Freiheit.
Mein Bestreben ist, wie in der Bibel ausgesprochen: Nächstenliebe zu üben. Ich kann nicht ständig jemandem um den Hals fallen, aber Respekt und Zuneigung kann ich den Menschen entgegenbringen - und nie aufgeben! Sich einschüchtern zu lassen, wäre es Ende der Menschlichkeit.

Am Schluss des Buches sagen Sie, dass eine Demokratie kein Schlaraffenland ist. Das effektivste freiheitliche System und eine glaubwürdige Regierungspolitik sind lediglich Funktionen bürgerlichen Engagements. Wollen die Bürger ihre Freiheit bewahren, müssen sie fortwährend bereit sein, sich dafür und gegen ihre Zerstörer vorbehaltlos einzusetzen. Herr Seligmann, aber das ist ja die schwerste Aufgabe. Was sollte man außer Zivilcourage zeigen zusätzlich auch noch tun?
Jeder nach seinen Fähigkeiten, ob man Leserbriefe schreibt, oder sich im Sozialen, Nachbarschaftlichen beteiligt. Man kann Geld spenden. Es gibt zahllose Möglichkeiten. Nutzen wir sie!

Rafael Seligmann, Ihre Bücher geben Anlass zu Diskussionen, zum Nachdenken und auch zum unterhaltsamen Lesen. Ich fühle mich durch Ihre Bücher bereichert und lese sie gerne. Die Titel stehen auch in der Stadtbibliothek München und jederzeit auszuleihen. Vielen Dank für das Gespräch.


©Steffi.M.Black 2024 (Text)
©Seligmann(Bild privat)