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Fräulein Prolet heißt Fritzi, sie ist Munitionsarbeiterin, 17 Jahre alt, und sie erlebt die aufreibende Zeit zwischen Revolution und Entstehung des Freistaats Bayern und sie verehrt Sonja Lerch.
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Gespräche



 29.03.2024 - "Fräulein Prolet" Edition AV Verlag 



Autorin Cornelia Naumann

Die Autorin Cornelia Naumann ist vielseitig engagiert: Regieassistentin, Dramaturgin, Theaterpädagogin. Und war viel unterwegs. Zurück in München schreibt sie Romane, in denen die „Frau“ im Mittelpunkt steht.
Zuletzt kam Ihr Buch über Sonja Lerch „Der Abend kommt so schnell, die vergessene Münchner Revolutionärin", im Gmeiner Verlag heraus. Wer kennt diese Frau in Weiß, der schon 1913 in Gießen der Doktortitel verliehen wurde. Eine Frau, die in Rüstungsbetrieben Reden für Frieden und Gleichberechtigung hielt. Mit „Fräulein Prolet“, Edition AV Verlag, erzählt Cornelia Naumann von der Protagonistin Fritzi, die nach dem 1. Weltkrieg als Munitionsarbeiterin in den Kreis der Fotografen aufgenommen wurde, und mit der Kamera den Kampf um die Räterepublik festhält, dabei in turbulente Situationen gerät.

1918 - Fräulein Prolet wünscht sich Frieden. Das Fräulein Prolet heißt Fritzi, sie ist Munitionsarbeiterin, 17 Jahre alt, und sie erlebt die aufreibende Zeit zwischen Revolution und Entstehung des Freistaats Bayern und sie verehrt Sonja Lerch.

Verkürzter Auszug aus dem Roman „Fräulein Prolet“
Fritzi flieht durch den kleinen Durchgang auf die breite Ludwigstrasse in die Maxvorstadt und biegt in die Schellingstraße ein. Erleichtert bemerkt sie, dass der Sonntag hier nicht so heilig und von behäbiger Bürgerlichkeit ist. Dann biegt sie in die Türkenstraße ein, angezogen von der Musik, die aus dem alten Simpl dringt… und sie steuert auf die Tür zu, aber noch ehe sie den Messinggriff packen kann, fliegt sie auf, und, und von kräftigen Männern an beiden Seiten gestoßen, stolpert ein Mann heraus und wäre unweigerlich auf die Gasse gefallen. So fällt er aber direkt gegen Fritzi. Der Mann überragt sie um zwei Köpfe. Seine Haare sind so rot wie ihre. Erich Mühsam tritt einige Schritte zurück, betrachtet die junge Frau und grinst. Mädchen, sei nicht böse, ich bewundere nur deine Kraft. So eine Kraft hat nur ein Mädchen vom Lande oder eine Proletarierin.
Proletarierin. Fritzi ist stolz drauf, Prolet zu sein, Stolz auf eine Klasse, die schaffte, was andere verachten. Und die mit ihrem Streik alles anhalten konnten.

Frau Nauman,
Ihr neuer Roman über die kämpferische Zeit im neu ausgerufenen Freistaat Bayern haben Sie aus der Sicht einer Frau, einer Munitionsarbeiterin, geschrieben. Fritzi lebt im Münchner Stadtviertel Giesing.
Wenn es diese Zeit nicht wirklich gegeben hätte, würde ich sagen, ich lese einen spannenden Kriminalroman über die 1920er Jahre in den Aufbruch einer neuen Zeit.
Fritzi will die inhaftierte Sonja Lerch, die wir aus Ihrem Roman „Der Abend kommt so schnell“ kennen, besuchen. Es ist die Frau, die mit Kurt Eisner für den Frieden gekämpft hat, diese Frau will sie im Gefängnis Stadelheim besuchen, doch sie bekommt keinen Einlass. So wartet Fritzi vor dem Gefängnistor, in der Hoffnung doch noch Besuchserlaubnis zu bekommen. Vor dem Tor steht eine Kutsche. Der Kutscher ist auf dem Weg nach Freimann und nimmt Fritzi mit. Unterwegs erfährt sie, dass er eine Leiche zum jüdischen Friedhof bringt. Fritzi ist fassungslos, dass das ihre Sonja Lerch ist, die sich mit einem Schal erhängt haben soll.
Frau Naumann, haben Sie vorgezogen, einen Roman über die 1920er Jahre in München zu schreiben statt einer Dokumentation?

Ich schreibe Literatur, so wollte ich es mit Fräulein Prolet auch. In meinem neuen Roman ist die Protagonistin allerdings frei erfunden. Sie bewegt sich in einem Rahmen von historischen Personen, die nicht erfunden sind. In meinen früheren Romanen war es umgekehrt. Da bin ich der Biografie einer Frau gefolgt, z.B. der Porträtmalerin Anna Dorothea Therbusch („Die Portraitmalerin“) oder Wilhelmine von Bayreuth („Scherben des Glücks“), hier habe ich nur den einen oder anderen, dem sie begegnet, erfunden, oder bei Sarah Sonja Lerch ist es die große Liebe. Auslöser für dieses Buch war der BSF, der „Bund sozialistischer Frauen“. Über diesen Bund wissen wir sehr wenig. Es sind nur zwei Flugblätter erhalten, zum Glück gibt es unveröffentlichte Reden von einzelnen Frauen. Über die weibliche Perspektive der Revolution und der Rätedemokratie gibt es wenig Material.

Fritzi ist die Protagonistin in „Fräulein Prolet“. Als angehende Photographin ist sie auf vielen Demonstrationen und Kundgebungen unterwegs, was ist das Besondere an dieser Geschichte? Weshalb haben Sie sie geschrieben?
Naja, da ist eine Geschichte von ganz hohen Erwartungen und vielen Hoffnungen, die dann extrem niedergeschlagen wurden und die sich wieder aufbauten. Das ist ein Gefühl, was ich sehr gut nachempfinden kann, denn unserer Generation ging es mal so ähnlich. Wir hatten auch 1968 viel erreicht, aber Stück für Stück wurde dies wieder zurückgenommen, zum Beispiel durch Notstandsgesetze, Hochschulrahmengesetz, Versammlungseinschränkungen u.v.m. Ich sehe in den frühen 20er Jahren viele Parallelen auch zu heute, die 1920er Jahre sind den 2020er Jahren in punkto Wünsche, Hoffnungen, Friedenssehnsucht sehr ähnlich.

Sehen Sie eine Botschaft in „Fräulein Prolet“?

Ja, Nie wieder ist jetzt. 1923 waren es die Frauen, die Hitler ausweisen wollten, und die dann den Hitlerputsch verhindert haben. Es ist mir wichtig zu zeigen, wo stehen wir heute, was haben wir mit dem Geschehen vor hundert Jahren zu tun.

Frau Naumann, was hat Sie angetrieben, entlang der historischen Fakten über die dramatischen Ereignisse nach dem Ende des 1. Weltkrieges zu schreiben?

Sonja Lerch starb am 29. März 1918, und ich wollte die Geschichte weitererzählen. Den Januarstreiks folgte die Revolution, und die Jahre danach wollte ich aus Frauenperspektive erzählen.

Gut, doch wie erklärt sich das; ist Fräulein Prolet ein Fräulein oder ein Prolet?

Der Begriff Fräulein als Anrede ist seit 1972 offiziell abgeschafft, aber wenn man sich heute den Buchmarkt anschaut, tauchen immer mehr Titel mit Fräuleins auf, aber die Fräuleins sind ohne Widerspruch. Fritzi ist stolz ein Prolet zu sein, als angehende Photographin ist sie auch ein Fräulein.

„Fräulein Prolet“ ist so ein spannendes Buch auch über die Münchner Geschichte. Damals waren viele mutige Menschen auf der Straße, und Frauen, die sich für Frauenrechte eingesetzt haben. Bei welchem Ereignis der Geschichte wären Sie gerne dabei gewesen?

Bei der Gründung. Bei der Gründung des BFS im Deutschen Theater, am 16. Dezember 1918, da wäre ich gerne dabei gewesen.

Das „Deutsche Theater“ in der Schwanthalerstraße?
Ja. Erstaunlich ist, dass die Gründung des BSF im Deutschen Theater stattfand, denn das heißt, dass Hunderte von Frauen daran teilgenommen haben. Und ich wäre auch gerne bei einer Räteversammlung dabei gewesen, auf der die Aktivistin und Pazifistin Anita Augspurg, im Chaos der Versammlung, die Herren mit Waffen zur Ordnung rief und sich durch setzte mit ihrer Forderung: Waffen sind an der Garderobe abzugeben!

War das auch ein Anliegen von Ihnen, die Rolle der Frau und die Anfänge der Frauenbewegung sichtbar zu machen?
Ja, aber nicht nur das. Fritzi lernt verschiedenste Frauen kennen, die Künstlerin, die die Öffnung der Akademie für Frauen verlangte, die Sportlerin, der die Olympiade verwehrt bleibt, die Intendantin der Kammerspiele. Solche Frauen gab es vorher nicht. Diese Frauen waren mir auch wichtig.

Wenn Sie Ihr Buch „Fräulein Prolet“ in der Hand halten und anschauen, was empfinden Sie spontan dabei?
Frau Naumann lacht: Glück.
Ich freue mich auch über die schöne Ausstattung. Die Zeichnungen sind von der Berliner Malerin Mirella Pietrzyk, die sie aus dem Manuskript heraus entworfen hat.

Hatten Sie beim Schreiben von „Fräulein Prolet“ Schreibblockaden?

Nein. Ich habe nur länger gebraucht, weil ich zwischendurch immer wieder Details recherchieren musste.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Aber das ist doch meine Freizeit.

In „Fräulein Prolet“ kommen sehr viele historische Persönlichkeiten vor: Felix Fechenbach, Anita Augspurg, Lida Gustav Heymann, Erich Mühsam, Kurt Eisner sowieso. In den 1970er Jahren wurden Broschüren und Bücher herausgebracht. Die konnte man damals in der Basis Buchhandlung kaufen. Leider sind einige nur noch antiquarisch vorhanden. Wo haben Sie recherchiert?

In der Coronazeit waren alle offiziellen Zugänge wie Bibliotheken oder Archive geschlossen. Zum Glück ließ mich Günther Gerstenberg in seinem Privatarchiv arbeiten. Vielen Dank dafür, und digital konnte ich auch einiges recherchieren.

Was verbindet Sie mit Günther Gerstenberg, den Münchner Maler, Bildhauer und Autor?

Wir haben vier Jahre gemeinsam für ein Lesebuch über Münchner Revolutionärinnen und Revolutionäre recherchiert. Wir haben auch die Ausstellung „Sarah Sonja Lerch und die Januarstreiks 1918“ herausgebracht. Ich habe von ihm sehr viel gelernt, zum Beispiel nicht locker zu lassen, zu fragen, warum waren „die“ nicht anders. Günther Gerstenberg ist der, der die Sachbücher schreibt, und ich sehe meine Aufgabe in meinen Romanen, auch wenn wir zu den selben historischen Erkenntnissen kommen.

Frau Naumann,
Ihre Bücher, ob es die Wilhelmine von Bayreuth, die Porträtmalerin Anna Dorothea Therbusch oder die Geschichte der bayerischen Prinzessin und französischen Königin Isabel und weitere Romane, bei denen die Schicksale von Frauen im Vordergrund stehen, sind beeindruckende und lesenswerte Zeiterlebnisse.
Vielen Dank für das Gespräch

Danke! Ja, es gibt so viele spannende Frauen, die zu Unrecht vergessen wurden. Denen muß ich eine Stimme geben!

©Steffi.M.Black 2024 (Text u.Bild)