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Gespräche



 24.11.2023 - Das bittere Gift der Zwietracht 



Autorin Bhavya Heubisch

Die Übersetzerin, Dolmetscherin und Autorin
Bhavya Heubisch
ist fasziniert von der Geschichte ihrer Heimatstadt München
.
Besonders haben es ihr die historischen Persönlichkeiten Münchens und deren Schicksale angetan.
2020 erschien ihr Erstling „Das süße Gift des Geldes" über die Hochstaplerin Adele Spitzeder im Volk Verlag und ebenfalls im Volk Verlag, auch ihr neuestes Buch „Das bittere Gift der Zwietracht“
.

Frau Heubisch, lassen Sie mich zuerst das Cover Ihres neuen Buches „Das bittere Gift der Zwietracht“ bewundern. Der blumenhafte Bucheinband ist wunderschön und so gestaltet, dass die Rückseite als Lesezeichen verwendet werden kann. Ganz schön raffiniert. Und dieses Buch ist sehr spannend: es erwartet den Leser eine Liebesgeschichte anderer Art. Nicht Eifersucht verhindert eine Heirat, nein, es ist die Religion. Man möchte es nicht glauben, wie zu Urururgroßvaters-Zeiten Menschen in München geächtet und verstoßen wurden, wenn herauskam, dass sie Protestanten waren.
Die Hauptfiguren Ihres Buches Johann Balthasar Michel und die Wirtstochter Katharina vom Dürnbräu in „Das bitteres Gift der Zwietracht“ lebten zu einer Zeit, als man durch die Tore Münchens nur durch strengste Kontrollen rein‘ oder rauskam. Nicht auszudenken, was das für ein Chaos wäre, lebten wir heute so in München.
Überraschend war es, wie rigoros sich Münchens Bevölkerung um ca.1800, quer durch alle Schichten, gegen andersgläubige Menschen verhalten hat. Das katholische München hat protestantischen Mitmenschen kein Bleiberecht, keine Gewerbeerlaubnis oder gar eine Heirat zugestanden. Sobald ein Mensch wegen seines protestantischen Glaubens geoutet wurde, wurde er abrupt verstoßen. Und als Protestant ein Bürgerrecht in der Stadt München zu erhalten – nie und nimmer. Aber der Protagonist und Protestant Michel von Mannheim, um den es hier geht, zog von Augsburg nach München und ließ nicht locker.
Ihr Buch „Das bittere Gift der Zwietracht“ lehrt aber auch die andere Geschichte Bayerns unter dem Kurfürsten Max IV. Joseph, dem späteren König Max I. Joseph und seinem Minister Montgelas. Wie hat es angefangen, dass Sie in diese Geschichte eintauchten, um einen Roman darüber zu schreiben?

Manchmal fliegen mich die Themen, über die ich schreibe, einfach an. Bei den Recherchen für meinen ersten Roman, bin ich immer wieder über den Namen Johann Balthasar Michel gestolpert. Doch das Einzige, was ich in Büchern und Schriften gefunden habe, war nur der eine Satz „Johann Balthasar Michel, der erste Protestant, der in München das Bürgerrecht bekam“. Mehr dazu habe ich nicht entdeckt. Schließlich habe ich mich gefragt, wer war dieser Johann Balthasar Michel? Dies war der Beginn meiner Recherchen über die Zeit um 1800 und ich wollte herausfinden: Wie war das damals mit den Protestanten in München? Meine Recherchen haben ergeben, dass es für Protestanten damals verboten war, in München zu wohnen. Nach einigen Quellen gab es nur drei Protestanten, die heimlich in München gelebt haben: einen Bäckermeister, einen Schauspieler und einen Instrumentenmacher. Diese drei Männer habe ich später in meinem Roman, der ja fiktiv ist, als Freunde Michels ins Spiel gebracht. So hat sich mein Roman entwickelt.

Also Neugierde war ein treibender Motor?

Ja, es war die reine Neugierde.

Wie wichtig war für Sie der erste Satz „Lass mich durch! Mit den Ellbogen kämpfte sich Johann Balthasar Michel durch die Menge, die sich vom Schrannenplatz Richtung Karlstor schob.“
Ich wollte direkt und nicht mit einer Beschreibung der damaligen Zustände in die Geschichte einsteigen. Die Beschreibung folgt im weiteren Verlauf des Kapitels.

Hat Sie etwas bei den Recherchen überrascht?
Ja, mich hat total überrascht, dass ich mit dem Recherchieren gar nicht mehr aufhören wollte. Ich wusste, dass in der Zeit, in der mein Roman spielt, Klöster geschleift, d.h. niedergerissen wurden und bin bei meinen Recherchen auf das Franziskanerkloster gestoßen. Es befand sich neben der Residenz auf dem Platz, auf dem heute die Oper steht. Das Kloster war ein geistiges Zentrum Münchens und sollte ebenfalls abgerissen werden. Ich habe Berichte darüber gefunden, wie brutal der Abriss zuging, wie nachts Mönche und Laienbrüder mit Bluthunden vertrieben und auf Karren nach Ingolstadt verbracht wurden, wo sie anschließend ein kärgliches Leben fristeten. Diese Geschichte hat mich so gepackt, dass ich wissen wollte: wie hat denn das Kloster damals ausgeschaut? Im Staatsarchiv habe ich ein altes Architekturbuch mit dem Grundriss des Klosters, Beschreibungen der Räume, der zahlreichen Altäre und vieles mehr gefunden. Somit sind die Beschreibungen in meinem Roman historisch belegt.

Warum sind die Klöster eingerissen worden? Waren die baufällig?

Nein, es waren zum Teil sehr reiche Klöster. Zur damaligen Zeit war Max Josephs Minister Montgelas die treibende Kraft, Bayern zu modernisieren. Die Bayern mit ihrem konservativen Katholizismus, ihrem Aberglauben, ihrem Widerstand gegen Protestanten, waren ihm ein Dorn im Auge. Dies war ein Grund, warum in München viele Klöster niedergerissen oder einer anderen Verwendung zugeführt wurden. Aber auch, um mit der Beschlagnahme ihrer Reichtümer die leeren Staatskassen zu füllen. Leider wurden dabei auch viele Kunstschätze zerstört. Einige der kostbarsten Bücher der Klosterbibliotheken wurden später völlig runinert auf Dachböden gefunden.

Machen Sie sich, bevor Sie anfangen zu schreiben, Gedanken über den Stil? Also es soll ein poetischer Text werden, oder frech oder gar lässig oder nüchtern?
Nein, gar nicht. Darüber mache ich mir keine Gedanken, entwickle auch keinen Plot. Wenn mich ein Thema anspringt, recherchiere ich und beginne, wenn ich mir einen Überblick verschafft habe, mit einzelnen Szenen. So entsteht Stück für Stück mein Roman. Am Ende füge ich die Szenen zu einer fortlaufenden Handlung zusammen.

Wie gefallen Ihnen biographische Romane?
Biographische Romane gefallen mir sehr, doch kommt es immer darauf an, wie gut sie geschrieben sind. Welcher mir besonders gut gefallen hat? Darüber müsste ich erst noch einmal nachdenken.

Frau Heubisch, wieviel geben Sie von sich in diesem Buch preis? Hat Sie die heutige Problematik von Heiraten zwischen Christen und Muslimen beeinflusst?

Überhaupt nicht. Ich möchte in meinen historischen Romanen keine modernen Themen aufnehmen, sondern lieber in die damalige Zeit eintauchen und die Dinge aus der damaligen Sicht schildern. Dies gilt z.B. auch für die Figur der Katharina in meinem Roman „Das bittere Gift der Zwietracht“. Katharina ist eine selbstbewusste Frau, die sich nicht von ihrem Vater unterdrücken lassen will, die sich ihren Mann selbst aussuchen möchte und die für ihre Ehe mit einem Protestanten kämpft. Ich denke, Parallelen zur Jetztzeit können die Leserinnen und Leser selbst ziehen, ohne dass ich dies explizit beschreibe.

Über die schlaue Adele Spitzeder, die einen raffinierten Geldverleih in München betrieb und Gründerin der sogenannten „Dachauer Bank“ war, haben Sie bereits einen Roman geschrieben. Wie geht es mit Ihrem Schreiben weiter?
Ich recherchiere schon für den nächsten Roman. Er wird wieder um 1800 spielen, Hauptthema wird ein Reliquienraub aus einer Münchner Kirche sein.

Haben Sie zum Schreiben einen bevorzugten Platz? Haben Sie Rituale dabei?

Rituale habe ich keine. Ich bin berufstätig und habe wenig Zeit zum Schreiben. Ich habe eher den Rhythmus gefunden, mich gleich in der Früh, bevor ich etwas anderes mache, für ein oder zwei Stunden an den Schreibtisch zu setzen. Aber ich gehe auch sehr gerne in ein Café zum Schreiben, ich habe gerne eine Geräuschkulisse um mich.

Das Buch „Das bittere Gift der Zwietracht“ ist Ihr zweiter historischer Roman. Hatte Ihr erster historischer Roman „Das süße Gift des Geldes“ den Erfolg, den Sie sich gewünscht haben?

Der Start war sehr schwierig, denn das Buch ist in der Corona Zeit herausgekommen. Ich konnte keine Lesungen abhalten und die Leute waren übersatt mit Zoom-Lesungen. Aber die Adele Spitzeder hat sich zum Glück zu einem Langzeitbrenner entwickelt.

Haben Sie einen Tipp für uns Leser, was man sich als Historie anschauen könnte?

Das ist schwierig, weil nichts mehr vorhanden ist. Das Franziskanerkloster wurde geschleift, das kleine Rathaus am Petersbergl, den damaligen Sitz der Amtsstuben, gibt es auch nicht mehr. Geeignet wäre vielleicht das Jagd- und Fischereimuseum in der Fußgängerzone. Es war die frühere Augustinerkirche, die während der Säkularisation in eine Mauthalle umgewandelt wurde.

Noch eine Frage:
Die Stadtbibliotheken haben einen kulturellen Auftrag und sollen der Volkskultur und der Bildung dienen. Haben Sie Anregungen, wie man sie attraktiver gestalten könnte?

Da müsste ich nachdenken, denn die Stadtbibliotheken, die ich kenne, finde ich einfach super. Besonders die Möglichkeit, die Stadtbibliotheken nicht nur zum Bücherausleihen zu nutzen, sondern sich auch hinsetzen zu können, um zu lesen oder zu schreiben gefällt mir sehr.

Die Münchner Geschichte hat sehr viel zu bieten, Schönes, und sie hat auch dunkle Seiten. Wir freuen uns auf einen weiteren spannenden Roman von Ihnen.

Frau Heubisch, vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2023 (Text)
©B.Hornecker (Bild)