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Gespräche



 03.03.2021 - Das Gepräch mit Ulf Schiewe, Autor historischer Romane 



Autor Ulf Schiewe

Ulf Schiewe ist Schriftsteller und schreibt historische Romane. Im Jahr 2005 begann Ulf Schiewe neben seiner beruflichen Tätigkeit in Computertechnologie seinen Debütroman „Der Bastard von Tolosa“ zu schreiben, der 2009 bei Droemer Knaur erschien.
Inzwischen ist er nur noch als Schriftsteller tätig. Sein neuestes Buch „Die Kinder von Nebra“ ist ein historischer Roman um das Mysterium der Himmelsscheibe, die 1999 in Sachsen-Anhalt gefunden wurde
.

Herr Schiewe,
Ihr neuestes Buch "Die Kinder von Nebra" ist ein beeindruckender Roman über die Zeit, als vor rund 4000 Jahren die Himmelsscheibe hergestellt wurde. Sie wurde in den 1990er Jahren in Deutschland gefunden und ist ein ganz außergewöhnlicher archäologischer Fund. Wie schaffen Sie es, sich in eine Welt zu versetzen, in der man nicht gelebt hat, und dann 600 Seiten darüber zu schreiben und dem Leser das Gefühl zu geben, mitten drin zu sein?

Der Verlag hatte die Idee an mich herangetragen, etwas über die Himmelsscheibe zu schreiben. Ich war ziemlich erstaunt, weil das eine ganz andere Zeit ist, als die, über die ich sonst schreibe. Ich habe mich aber damit beschäftigt und das Buch von Harald Meller und Kai Michel gelesen. Harald Meller ist Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle und war maßgeblich an den wissenschaftlichen Untersuchungen rund um die Himmelscheibe beteiligt. Die daraus resultierenden Forschungsergebnisse fand ich faszinierend. Da war mein Entschluss gefasst, die Sache anzugehen.
Ich habe wissenschaftliche Werke von Archäologen, Genforschern und Sprachwissenschaftlern studiert, die belegen, welche Art von Migrationen in Europa statt-gefunden haben, und wie Menschen damals gelebt haben. Erstaunlicherweise waren sie viel weiterentwickelt, als wir uns das heutzutage vorstellen. Sie hatten eine reiche Kultur, versammelten sich in Kultstätten, waren als Staat organisiert und besaßen ein organsiertes Militär.
Nach dieser intensiven Hintergrundarbeit habe ich dann eine Geschichte entwickelt. Und natürlich eine Götterwelt, inspiriert von griechischen Mythen und skandinavischen Mythen, die ja beide einen indoeuropäischen Hintergrund haben. Im Buch werden die Götter benannt, und für welche Bereiche sie zuständig waren.
Bei Pömmelte in Sachsen-Anhalt sind die Reste einer riesigen, mythischen Kultstätte entdeckt worden, ähnlich wie die in Stonehenge, aber aus Holz. Man hat festgestellt, dass die Kultstätte mutwillig niedergebrannt wurde, möglicherweise bei einem Aufstand. Die Idee eines Volksaufstands ist dann zum zentralen Thema meines Romans geworden.

Das Buch hat einen wunderschönen Buchumschlag mit goldenen Prägungen. Die Scheibe ist getreu abgeduckt. Wie aufregend war das für Sie, über die wohl erste konkrete Himmelsdarstellung, wie sie Menschen betrachtet haben könnten, zu schreiben? Welche Gefühle hatten Sie dabei?
Interesse und Erstaunen, aber Gefühle eigentlich nicht.

War das nur Handwerk, oder?
Naja, ich habe ja die wissenschaftlichen Analysen gelesen, wie die Himmelsscheibe hergestellt wurde, und das habe ich im Buch beschrieben. Schmiede, die mit Bronze umgehen konnten, waren vermutlich hoch angesehen. Es war sehr spannend für mich, wie so ein bronzezeitlicher Schmied arbeitet, welche Legierungen er nimmt, woher damals das Gold stammte. Nachweislich aus Cornwall. Und das Kupfer aus den Alpen. Und natürlich habe ich beschrieben, was er sich bei seiner Darstellung der Himmelskörper gedacht hat. Und woher sein Wissen stammen könnte. Drüber hinaus beschreibe ich, was die Figuren dabei empfinden, welche Bedeutung es für sie hat.

Im Buch ist die Arbeit an der Himmelsscheibe zunächst ein Geheimnis, weshalb der Bronzeschmied heimlich daran arbeitet. Wollten Sie unsere Neugierde steigern?
Der Autor will ja nicht gleich alles verraten. Die Informationen kommen für den Leser nach und nach heraus. Und auch, wie unterschiedlich Tochter und Vater die Himmelsscheibe sehen. Aber im Buch versteht man schon, warum er ein Geheimnis daraus macht. Das Wissen, das in der Himmelsscheibe enthalten ist, bedeutet Macht. Und die soll nicht in die falschen Hände fallen.

Die Kinder von Nebra sind ganz schön forsch, sogar aufmüpfig. Im Kampf mit Gegnern wollen Sie mit der Himmelsscheibe eine eigene Botschaft senden. Doch der Vater unterstellt seinen Kindern Leichtsinn, was sie mit Hilfe der Scheibe verkörpern wollen. Erinnerst das Sie das an die junge Generation Fridays for Future?

So ein bisschen schon. Natürlich, Generationswechsel. Die Jungen stehen für Erneuerung, die Älteren wollen an dem festhalten, was sie haben. Es ist auch die Angst des Vaters vor dem, was das die Tochter vorhat. Sie fordert den Herrscher heraus. Das kann für die ganze Familie tragisch enden. Und tut es zum Teil ja auch.

Woher kommen die für uns so fremden Namen der Menschen im Buch?
Aus meinem Kopf, die Namen habe ich mir ausgedacht. Dafür gibt es keine Quellen, das sind meine Erfindungen, bis auf den Namen Morgana. Der Name kommt aus der Arthur-Sage.

Welche Absicht steckt dahinter, dass das Leben und Denken in dem Roman in unserer manchmal lieblosen bis hin zu respektloser Umgangssprache stattfindet?
Ich verwende in all meinen Romanen eine ganz normale deutsche Sprache. Selbstverständlich vermeide ich Modeworte, Anglizismen und andere anachronistische Begriffe. Aber die Menschen jener Zeit haben, genau wie wir, frei von der Leber weg gesprochen, und nicht altertümlich. Außerdem können wir nicht wissen, wie die Sprache in der Bronzezeit war. Ich schreibe ja auch nicht altdeutsch in meinen Mittelalterromanen. Die Leute haben in ihrer jeweiligen Zeit normal gesprochen, und das tun meine Figuren im Roman auch.

Die Himmelsscheibe reiht sich ein in die astronomischen Beobachtungen der Frühzeit. Was würden Sie sagen, wenn Ihre literarische Geschichte einer Friedens-Botschaft in der Himmelsscheibe durch weiteren Archäologische Funde bestätigt würde?
Aus wissenschaftlicher Sicht enthält die Himmelscheibe keine Friedensbotschaft. Sie ist nur eine Darstellung der Himmelskörper. Die Aussage, die sich daraus ergibt, das sind die Jahreszeiten: der Frühling, die Mondphasen. Daraus lässt sich mit ziemlicher Präzision ein Kalender errechnen, was zu der Zeit sehr nützlich war. Die Friedens- oder Liebesbotschaft einer Fruchtbarkeitsgöttin ist die Interpretation meiner Romanfigur Rana. Sie entwickelt damit einen neuen Kult, der helfen soll, die Schreckensherrschaft des Fürsten zu beenden.

Also, liebe Leser, wer bis jetzt noch nichts über das Leben der Routinger, über das Nebroni-Land und deren Verbindung zu den Hatti, den Hethitern weiß, erfährt in den Kindern von Nebra sehr viel, auch über Kämpfe und Eroberungen. Die Landkarte auf der Vorder- und Rückseite des Buches verschafft Übersicht. Das Nachwort von Ulf Schiewe erläutert diese Verbindungen.
Herr Schiewe, wie kommen Sie zu Ihren Themen, aus denen Sie ein Buch machen? Reisen Sie viel?

Nein, ich reise nicht. Meine Romane spielen in zu vielen unterschiedlichen Regionen. Sie alle zu besuchen, dazu fehlt mir die Zeit und das Geld. Aber ich recherchiere sehr genau. Auch über ferne Orte. Vor allem versuche ich Themen zu finden, die sich dazu hergeben, eine spannende Geschichte zu schreiben.

Seit Ihrem ersten Buch Der Bastard von Tolosa sind von Ihnen viele historische Romane im Lübbe Verlag und im Droemer Verlag erscheinen. Doch zurzeit leben wir in einer Pandemie mit vielen Einschränkungen. Beeinträchtigt das Ihr kreatives Schreiben?

Nein, für mich hat sich zum Glück nichts geändert. Anders als bei vielen anderen Kreativen. Ich habe vorher in meinem Kämmerlein vor dem Computer gesessen und das tue ich auch jetzt. Im privaten Bereich ist das anders, da schränkt sie mich natürlich schon ein. Kein Restaurant- oder Kinobesuch, nur der nötigste Kontakt mit unseren Enkelkindern. Und immer die Befürchtung, man könnte sich irgendwo anstecken. Das ist unangenehm.

Auch Die Comtessea ist ein historischer Roman. Darin geht es über Troubadoure, Ritter und Intrigen in der Zeit des 12. Jahrhundert in Südfrankreich. In diesem umfangreichen Buch haben Kinder und junge Menschen den Mut zu kämpfen und die Freiheit zu verteidigen. Große Kampfszenen zwischen Verfolgern und Verfolgten. Wo haben Sie dafür nachgeforscht?
Ich forsche zunächst immer mit Büchern von Historikern. Ich besitze Werke über mittelalterliche Kampftechniken, Belagerungstechnik, Architektur, Handel, Politik, Religion, soziale Beziehungen. Ich bemühe mich, keinen Unsinn zu schreiben. Ich forsche zu allem nach, wie Menschen gelebt haben, wie Ereignisse abgelaufen sind. Die Burgbelagerungen sind nicht aus der Phantasie entstanden, sie kommen aus der Recherche.

Was bereitet Ihnen beim Schreiben die meisten Schwierigkeiten?
Bei der Entstehung eines Romans gehe ich, wie folgt, vor: Ich recherchiere zunächst und mache mir viele Notizen, dann kommt eine Phase, in der ich daraus eine Geschichte mache, das nenne ich Plotten. Schließlich die Schreibarbeit. Das Plotten ist manchmal penibel, weil man Fakten und Fiktives miteinander kombiniern muss. Die Schicksale meiner Figuren müssen sich geschickt in die historischen Ereignisse einfügen. Sie sind von ihnen betroffen und manchmal sind sie selbst Auslöser dieser Ereignisse. Das ist oft nicht so einfach hinzukriegen. Ich mache mir einen graphisch übersichtlichen Plan. Erst wenn der fertig ist, fange ich an zu schreiben.

Herr Schiewe, Sie denken historisch und kennen sich auch gut in der Geschichte aus. Gustav Freytags Roman Die Ahnen gehört auch dazu. Das ist ein historischer Roman-zyklus von der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart. Auch Ihr Buch LAND im STURM ist ein großes Familienepos aus tausend Jahren deutscher Geschichte. Waren Freytags Ahnen ein Vorbild für Sie?
Nein, leider kenne ich das Buch nicht. Aber „Land im Sturm“ erzählt ja nicht die ganze Geschichte Deutschlands. Der Roman besteht aus fünf Episoden zu bestimmten, wichtigen Ereignissen: die Schlacht am Lechfeld von Otto dem I, die Entstehung Lübecks, eine Geschichte aus dem 30ig-jährigen Krieg, dann, als sich Preußen gegen Napoleon erhebt, und zum Schluss die rasante Entwicklung der Eisenbahnen und die Revolution von 1848.

Bisher haben Sie Romane über weit zurückliegende Zeiten geschrieben. "Der Attentäter" ist aber ein historischer Thriller und die Geschichte gerade mal 100 Jahre alt. Es geht um das Attentat auf den Thronfolger von Österreich-Ungarn, der 1914 ermordet wurde.
Sie machen den Mord zum Schlüsselereignis und den Geheimdienst zum Mittelpunkt Ihres Thrillers. Wann entscheiden Sie, welche Erzählerperspektive Sie nehmen?
Ja, dieser Roman ist tatsächlich wie ein Thriller aufgebaut. Er beschreibt fast stündlich die letzten sieben Tage bis zum Attentat. Und zwar aus drei Blickwinkeln: einmal ist da das Ehepaar, das ermordet wird, dann die Attentäter und wie sie zusammentreffen, und schließlich der Geheimdienst-Major. Die Hintergründe, Figuren und Ereignisse entsprechen genau den Tatsachen. Mit Ausname des Geheimdienst-Majors, der sich bemüht, die Attentäter zu fangen und den Mord zu verhindern. Der ist fiktiv und dient dazu, die ganze Geschichte besonders spannend zu machen.

Wie tief möchten Sie bei Ihren historischen Figuren in deren Psyche eintauchen? Belasten Sie dabei einige Charaktere?
Ich bemühe mich sehr, realistische Figuren zu zeichnen. Bei den jungen Männern, die das Attentat begehen, versuche ich, mich stark in Psyche und Motivation einzufühlen. Aber das tue ich eigentlich bei all meinen Romanen, um Konflikte, Motivation und Gedanken klar darzustellen. Gute Figuren sind essentiell.

Alle Ihre Bücher sind sehr umfangreich und haben viele geschichtliche Fakten. Wer liest Ihre Romane Korrektur?
Das macht das Verlagslektorat.

Arbeiten Sie mit einer Literatur-Agentur zusammen?
Ja, es ist heutzutage ratsam mit einer guten Agentur zusammen zu arbeiten. Ich werde von der Agentur Schlück vertreten. So muss ich mich nicht mit Verlags-klauseln und Tantiemen befassen. Ich schreibe und habe nur künstlerische Kontakte zu den Verlagen, das Kommerzielle und alles andere erledigt der Agent.

Welche Botschaften verbergen sich in Ihren Romanen? Was möchten Sie den Lesern vermitteln?
Ich bin kein Moralapostel und will keine beonderen Botschaften vermitteln. Ich sehe mich einfach als Geschichtenerzähler. Ich versuche Menschen zu zeigen, die sich mit Konflikten herumschlagen und in emotionale und existenzielle Schwierigkeiten geraten, die sie hoffentlich meistern und sich dabei entwickeln. Und die für sich selbst Lehren daraus ziehen.

Beantworten Sie Fan-Post, und wie gehen Sie mit Literatur-Kritik um?

Ich mache Lesungen im Internet. Die Teilnehmer lesen zur gleichen Zeit mit, sie kommentieren und stellen Fragen. Mit negativen Kritiken habe ich bisher nicht viel Probleme gehabt, meistens waren es gute Rezessionen.

Herr Schiewe, wie geht es weiter? Die Pandemie wird durch Impfen und achtsamen Verhalten in Schach gehalten werden, doch bitte lassen Sie uns Leser nicht im Stich.
Ein reges Leben wird wieder in den Stadtbibliotheken sein, und die Regale werden sich sich mit neuen Büchern füllen. Auch mit Ihren, und wir warten darauf, neue historische Begebenheiten von Ihnen zu durchleben.
Vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2021(Text)
©jörn marquart(Bild)