Gespräche
25.07.2019 - SAID
SAID - Dichter und Schriftsteller
Der Dichter und Schriftsteller SAID ist ein poetischer und wacher Beobachter in und zwischen den Kulturen Iran und Deutschland. Politik und Liebe, Heimat und Fremde sind die thematischen Pole, die um SAIDs Leben und Werk kreisen.
Die Angst vor der eigenen Geschichte, einer Geschichte von Verfolgung und Gefahr, die Macht und alle umwälzende Kraft des Begehrens, das ernste Spiel zwischen Männern und Frauen, die Einsamkeit und die Botschaften des Todes – diese Themen gibt SAID in ausdrucksstarker und prägnanter Sprache wieder. Sie sind mal realistisch, mal surreal, mal der Fabel oder dem Märchen verwandt, oder sie sind nah am Bericht – und ziehen uns in ihren Bann. SAID bekam viele Preise, auch die Goethe-Medaille und lebt in München.
Im Rimbaud Verlag ist sein neuester Gedichtband “vom wort zum haus” erschienen.
SAID, Du bist 1965 aus dem Iran geflohen und kamst nach Deutschland zum Studieren. Was ist passiert, dass Du Dich dem Schreiben zugewandt hast?
Der Grund war Einsamkeit. Ich habe mich hier politisch betätigt, und nach einer Weile passiert es, dass man mit seinen Genossen politisch und menschlich nicht zurechtkommt. Dadurch entstand eine Isolation. Was blieb war ein leeres Blatt Papier als Ansprechpartner. Somit habe ich angefangen zu schreiben.
Du hast viel geschrieben, mindestens 20 Titel finde ich in der Liste, und die meisten Bücher sind im C.H.Beck Verlag erschienen. Auch Preise und Auszeichnungen hast Du bekommen. Es leben in Dir zwei Kulturen, welche ist für Dein Schreiben wichtig?
Die Sprache ist Deutsch, aber die beiden Kulturen kann ich nicht trennen, das wäre auch nicht machbar. Beide Sprachen laufen mir durch den Körper, aber ich habe nie die Kontrolle, welche wann gesiegt oder versagt hat. Das ist auch gut so, denn ich bin beeinflusst von beiden Sprachen und kann auch auf keine von den beiden verzichten.
An was erinnerst Du Dich gerne?
Je älter man wird, desto weiter rückt die Erinnerung nach hinten. Das heißt, ich erinnere mich eher an die Kindheit.
Und wie war es mit den Erinnerungen, als Du 1979 mit der Schriftstellerin Luise Rinser im Iran warst? Frau Rinser wollte ein Buch über den Iran schreiben, und Du hast sie begleitet, um vielleicht wieder in den Iran zurück zu kehren. Haben Dich die Erinnerungen überwältigt?
Luise Rinser hat sich großartig verhalten, denn ich war damals verloren gewesen. Ich kam nach vierzehn Jahren in das Land zurück, und jedes Bild, jedes Wort, jede Bewegung hatte mich umgeweht. Ich war sehr aufgewühlt und Luise Rinser hat es mit Grandezza aufgenommen. Ich war und bin ihr sehr dankbar dafür. Ich habe aber auch während wir dort waren festgestellt, dass ich mich im Iran nicht mehr zuhause fühlen würde.
Deine Texte sind sehr persönlich, trotzdem veröffentlichst Du sie. Kommst Du gut damit zurecht, sie Deinen Lesern anzuvertrauen?
Frei nach Schiller: Literatur muss inkommodieren – unangenehm sein, ungemütlich sein, sonst wäre es ja Feuilleton. Als ich das Buch „Landschaften einer fernen Mutter“ veröffentlicht hatte, habe ich eine ganze Palette von Schimpfwörtern bekommen. Aber ich kann sowas nur schreiben, wenn ich davon berührt bin, und wenn ich davon berührt bin, muss ich Art der Berührung wiedergeben, wenn auch rabiat. Ich kann es nicht moderat machen. Die Begegnung mit der Mutter war sehr, sehr bewegend. Das Erlebte möchte ich so wiedergeben, dass der Leser, wenn er aufrichtig ist, das auch miterlebt und auch zornig werden kann.
Die Titel Deiner Bücher sind ausdrucksstark, was war denn zuerst da – hat Dich ein Titel zur Geschichte inspiriert, oder war es umgekehrt?
Nein, die Geschichte bestimmt. Meist, in der Endphase, wenn ich mit einem Manuskript fertig bin, taucht die Frage nach dem Titel auf, bzw. während der Arbeit weiß ich manchmal auch, dass der/das oder jenes als Titel geeignet wäre. Dann fängt allerdings der Kampf mit dem Verlag an, denn die Verlage hatten immer eine andere Vorstellung von Titeln. Nachdem aber aus der Arbeit am Text ein Titel entsteht, hat er oft überzeugt und wurde genommen.
SAID, wie sieht ein Arbeitsalltag bei Dir aus? Gibt es Regeln?
Ich habe keinen Arbeitsalltag. Früher hatte ich immer nachts gearbeitet. Nach meinem Herzinfarkt habe ich das gelassen. Wenn ich früh aufstehe, schreibe ich oder ich arbeite den ganzen Nachmittag.
Du gehst auch nicht in Bibliotheken oder in Cafés um zu schreiben?
Nein, ich sitze zu Hause, alleine, und schreibe ohne Musik, ohne Kaffee, ohne Alkohol.
Oft kommt auch der Rundfunk auf Dich zu, Du wirst gerne nach dem Iran gefragt. Wie fühlt sich das an?
Es kommt darauf an, wie man auf mich zukommt. Wenn es darum geht, ein Interview abzugeben, lehne ich es oft ab. Oft ist aber ein Buch ein Anlass für ein Gespräch. Manchmal schreibe ich auch direkt etwas für den Rundfunk, nicht unbedingt über den Iran, viele Redakteure sind offen genug für andere, etwa sprachliche oder geschichtliche Themen. Ich weigere mich, mich als einen Iran-Spezialisten auszugeben.
SAID, wie wäre das, oder anders gefragt, möchtest Du Deine Gedichte vertont hören?
Beeinflussen kann ich diese Tendenz nicht, doch wenn jemand auf mich zukommt - warum nicht. Meine „Psalmen“ sind schon zweimal vertont worden. (In 99 Psalmen lässt SAID Gefühle, Erfahrungen, Stimmungen anklingen, wie sie sich auch in den biblischen Psalmen finden. Es sind moderne, heutige Psalmen, nicht archaisierend, sondern gegenwärtig, nicht überquellend von Bildern, sondern nach dem knappsten Ausdruck suchend, nicht elegisch mit Gott Zwiesprache haltend, sondern ihm Aug in Aug gegenübertretend.)
Oh, da ist ja meine Frage vollkommen überflüssig. Wer hat das gemacht?
Eine Schweizer Musikgruppe. Ich kenne sie nicht, sie haben im Internet den Text gefunden und bei mir wegen Veröffentlichung nachgefragt. Im zweiten Fall ist ein Münchner Musiker auf mich zugekommen.
Tauschst Du Dich mit anderen Lyrikern oder Kollegen aus?
Nein, die Zeit der großen Begegnungen ist vorbei. Es gibt manchmal Gemeinschaftslesungen, aber es entsteht nichts daraus.
Ich bewundere Dein Buch „Das Rot lächelt, das Blau schweigt.“ Es sind Geschichten über berühmte Gemälde. Du verweiltest mehrere Stunden im Museum und hast diese Gemälde betrachtet, denen Du dann eine Geschichte gabst. Denkst Du gerne an diese Besuche zurück?
Im Laufe dieser Arbeit ist mir viel passiert. Fast mit jedem Bild verbinde ich eine Geschichte. Zum Beispiel: ich hatte mir sehr viel von dem Maler Marc Chagall angeschaut und hatte mich für das Bild „Über Witebsk“ entschieden. Das Bild ist im Verhältnis zu Chagalls anderen Bildern eigentlich banal. Ein Druck stand auf meinen Tisch, den ich mir immer wieder anschaute. Doch was passierte: während dieser Zeit lese ich der in FAZ, dass das Bild, welches in New York im jüdischen Museum hängt, bei einer Benefiz-Veranstaltung gestohlen wurde. Ich dachte mir, dass das eigentlich undenkbar ist. Ich schrieb einen Brief an den Redakteur der FAZ mit der Bitte, dass er mich weiter informieren sollte, was mit dem Bild geschieht. In der Tat – es ruft jemand in dem Museum an und sagt, er hätte das Bild gestohlen und er wäre bereit das Bild zurückzugeben, wenn Palästinenser und Israelis wieder miteinander verhandeln. Unglaublich, alleine die Idee, dass jemand das Bild stiehlt und einiges riskiert, um an ein höheres Ziel ‘ranzugehen. Ich weiß nicht was dann passiert ist, aber das Bild ist zurück und hängt im Museum.
Poesie ist Deine Stärke, waren die Gemälde auch Poesie für Dich?
Natürlich, die Bilder sind poetisch, jedes auf seine Weise, und genau darauf kommt es an.
SAID, würdest Du denn auch einen Roman schreiben wollen?
Ich habe welche geschrieben, die sind aber nicht veröffentlicht worden, vielleicht beim nächsten Verlag.
Das Buch „Es war einmal eine Blume" ist ein Bilderbuch und eine Parabel voller Phantasie. Ist es ein Märchenbuch für Erwachsene?
Ich mag die Zweiteilung ob für Erwachsene oder Kinder nicht. Dieser Text hat zweiundzwanzig Jahre lang auf die Veröffentlichung gewartet. Ich habe die Absagen der Verlage gesammelt. Ein namhafter Verleger hat geschrieben: aber lieber SAID, Blumen können doch überhaupt nicht gehen. Ich war geneigt zu sagen, seit Hans Christian Andersen können auch Blumen gehen. Nun, es sind feste Vorstellungen im Kopf, dagegen muss man kämpfen, und der Autor muss einfach lang genug warten. Das Buch ist in mehrere Sprachen übersetzt worden und hat große Besprechungen bekommen.
Als Präsident vom PEN (Autorenverband für Poets, Essayists, Novelists) hat man viel Arbeit. In den Jahren 2000 – 2002 warst Du der PEN Präsident. War das eine wichtige Tätigkeit für Dich?
Ja, sehr wichtig, sehr hart, und ich habe viel gelernt. Ich glaube, ich habe auch etwas bewegt, indem ich Ruhe in den Verband hineingebracht habe. Ich bin gerne als Mediator genommen worden, da ich weder Ossi noch Wessi bin, und man wusste auch, dass ich die beliebte Wessi-Haltung nicht hatte, dass alle Ossis Agenten der Stasi sind. Das war gut, doch zum Schreiben bin ich in dieser Zeit nicht gekommen.
Heutzutage ist es fast unerlässlich, in den sozialen Netzwerken präsent zu sein. Beteiligst Du Dich daran?
Nein.
Wie sieht Deine Lyrik der Zukunft aus?
Die Lyrik der Zukunft bestimme ich ja nicht. Das sind Zyklen, die kommen und gehen. Im Moment ist eher das unpersönliche, das unsoziale angesagt, ich kümmere mich nicht darum. Ich schreibe meine Poesie, die sehr persönlich ist. Ich war nie jemand, der „en Vogue“ ist, das will ich auch nicht. Wichtig ist, dass ich mir die Treue halte.
Und wie wichtig ist für Dich die Goethe-Medaille, die Du für Dein literarisches Werk und Dein politisches und kulturelles Engagement bekommen hast?
Die Goethe-Medaille ist eine große Ehrung. Ich habe eine ambivalente Haltung zu Goethe – dazu habe ich mich oft geäußert. Seine politische Haltung fand ich teilweise abstoßend, genauso die Art wie er seine Kollegen behandelt hat. Aber allein „Faust“ ist gewiss das Größte und Schönste, was jemals auf Deutsch geschrieben wurde. Darin legt er alle seine Brüche offen. Ich behaupte, Goethe war in seinen Texten nie so ehrlich wie im „Faust“. Die Auszeichnung mit der Goethe-Medaille ist eine große, und ich bin sehr dankbar dafür.
SAID – Du bist ein Poet, und ich bin froh, dass unsere „Germanisierung“ Deine persische Kultur nicht verdrängt hat, und dass wir Deine wunderbaren Gedichte und Geschichten auf Deutsch lesen können. Doch eine Lesung, oder Texte von Dir selbst vorgetragen zu bekommen, sollte man sich nicht entgehen lassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Aus SAIDs letzter Veröffentlichung im Rimbaud Verlag “vom wort zum haus”
sie versammeln sich auf öffentlichen plätzen
mit nackten füßen
lautlos verzichten sie auf land und staat
in den händen
abgeschabte gebete
von niemandem beachtet
flüchtlinge im nebel
halboffene türen ohne gesinnung
rufen
©Steffi.M.Black 2019(Text)
©wikipedia(Bild)