Gespräche
08.04.2019 - Das Gespräch mit Felix Hütten
Autor Felix Hütten
Felix Hütten ist Redakteur im Wissensressort der Süddeutschen Zeitung. Er hat Medizin und Politikwissenschaft studiert, wurde Medizinjournalist und ist an Themen rund um die Chancen junger Menschen, Gesundheit und Krankheit interessiert. Zu den zahlreichen Artikeln zu diesen Themen in der Süddeutsche Zeitung erschien nun sein erstes Buch "Sterben lernen - Das Buch für den Abschied“ im Hanser Verlag.
Herr Hütten, Ihr Buch „Sterben lernen“ ist nicht ohne. Ein großer Teil der Menschen fürchtet sich vor diesem Thema. Sie sind ein sympathischer, junger Mann, und weit entfernt ans Sterben zu denken, Sie haben sich aber der Herausforderung gestellt. Mit all meiner Verdrängung zu diesem großen Thema will ich es nun auch tun. Somit die erste Frage: waren Sie erleichtert, als Sie das Manuskript abgegeben haben, und es zum Druck ging?
Sicher, ich war erleichtert, denn ich hatte zwei Jahre daran gearbeitet. Gleichzeitig war die Abgabe in der Zeit, als mein Vater starb. So war ich persönlich betroffen. Ich musste noch die letzten Änderungen einfügen. Das war ein komisches Gefühl, da ich beides war, einerseits Journalist, der Änderungen im Manuskript vornahm, und gleichzeitig der Sohn, der als Angehöriger auch trauert.
Welcher Gedanke hat Sie getrieben, ein Buch übers „Sterben lernen“ zu schreiben?
Also, es gab da nicht den einen Gedanken, denn mit dem Thema habe ich mich schon lange beschäftigt. Meinen ersten Kontakt dazu hatte ich im Zivildienst. Dort habe ich im Rettungsdienst gearbeitet und kam zwangsläufig mit dem Thema in Kontakt. Im Medizinstudium hospitierte ich auf einer Palliativstation und habe da die Krankenhausseite gesehen, und gesehen wie auf dieser Station gearbeitet wird. Später dann im Beruf, als Journalist bei der SZ, schrieb ich viel zu dem Thema, und so kam eins zum anderen, dass ich dachte, ich könnte daraus ein Buch machen, zumal sich auch viel Material angesammelt hatte.
Als ich die ersten Seiten in Ihrem Buch gelesen habe, hatte ich Herzklopfen. Sie schreiben, dass man den Weg zum Tod nicht mit Tricks steuern kann. Und Sie sagen, dass Sie in diesem Buch auch kein Sterbeberater sind, und das Buch ist keine Selbsthilfelektüre. Hätte es für das Buch nicht auch einen anderen Titel gegeben?
Nun, im Verlag wurde lange darüber diskutiert. Ich fand den Titel recht schön, zumal er provokant ist und die Idee vermittelt, dass Sterben auch etwas ist, was man lernen kann, wie viele andere Dinge im Leben auch.
Aber wir sterben doch nur einmal!
Genau. Der große Widerspruch ist, dass man das, was man nur einmal tut, nicht lernen kann, denn wir haben gelernt, dass das Lernen einer Wiederholung bedarf. Sie haben Recht, der Titel ist widersprüchlich. Ich würde sagen, er ist provokant, und soll Leute motivieren „ich beschäftige mich mit dem Thema und verdränge es nicht“, und das ist das, was man lernen kann. Dass man sich selbst überwindet. Meine tiefste Überzeugung ist, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben viel Schmerz und Leid verhindern kann.
Das Kapitel „Die Angst vor dem Tod“ ist sehr gut und sehr einfühlsam. Der Leser muss sich nicht davor fürchten. Doch wie lange halten Sie es aus, über den Tod zu reden?
Ich gebe zu, dass das ein Thema ist, über das man nicht grenzenlos reden kann. Ich persönlich habe kein Problem darüber zu reden. Wie ich vorhin sagte, bin ich der Überzeugung, dass die Auseinandersetzung viel Druck nehmen kann und ein Gespräch über das Thema Tod sehr befreiend sein kann, und daraus beziehe ich sehr viel Kraft. Das ist nicht verallgemeinbar. Ich verstehe sehr gut, wenn Menschen auch anders darüber denken.
Wie ist es dann, wenn man mit dem toten Menschen konfrontiert wird?
Ich kann da nur von mir reden. Mir selber hatte es geholfen, als ich mit dem Tod meines Vaters umgehen musste, dass ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Ich hatte das Gefühl, ich weiß Bescheid, es ist kein dunkler Tunnel, sondern ich habe eine gewisse Kenntnis. Ich glaube, dass das Wissen Vertrauen gibt, und das hatte mir in der Zeit sehr geholfen. Ich weiß von Vielen, dass es ihnen auch hilft, deswegen habe ich das Buch geschrieben, und ich glaube, dass wohl Sterbende, also Menschen die sich im Sterbeprozess befinden, sowie auch Angehörige, davon profitieren können, wenn sie – zumindest im Groben wissen - was eigentlich passiert.
Aber die Emotionen...
Mein Buch hat nicht den Anspruch Emotionen zu vertreiben. Im Gegenteil, es ist vollkommen in Ordnung Emotionen zu zeigen. Trotz aller Vorkenntnisse kann einem die Begegnung Tod mit einem geliebten Menschen aus der Bahn werfen. Das ist ja erstmal normal. Es wäre auch falsch zu sagen, das darf nicht passieren, und deswegen lese ich dieses Buch, damit mir das nicht passiert. Das ist aber nicht mein Anspruch.
Neugierig war ich auf das Kapitel über Sterbehilfe. So unverkrampft wie Sie dieses Thema angehen, muss man keine Diskussion darüber scheuen. Die vielen Informationen in diesem Kapitel helfen Sterbehilfe realistisch zu verstehen, und ganz wichtig auch, dies zu hinterfragen. Sprechen Sie, Herr Hütten, öffentlich in Medien darüber?
In Lesungen spreche ich darüber. Das Thema kommt immer wieder vor. Ich habe versucht den Begriff Sterbehilfe zu deuten, dass das Wort Sterbehilfe eigentlich ein schöner Begriff ist. Analog zur Geburtshilfe. Die Geburtshilfe schreibt ja eine Disziplin, die einer Mutter hilft das Kind zu gebären, so könnte man die Sterbehilfe als medizinische Disziplin beschreiben, die den Menschen hilft zu sterben. Der Begriff ist in den letzten Jahren sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden, denn da geht um was ganz anderes: die Frage, ob Ärzte oder auch Angehörige, Menschen helfen dürfen, mit Medikamenten ihr Leben zu beenden. Das ist aber was ganz anders, ich finde den Begriff Sterbehilfe in diesem Zusammenhang falsch. Deswegen habe ich in meinem Buch versucht, den Begriff dahin zurück zu führen, wo er herkam: die Hilfe beim Sterben (und nicht beenden).
„Sterben“ ist ein Konflikt-Thema, das erleben wir in der heutigen Gesellschaft. Finden Sie, dass man sich damit zu wenig beschäftigt?
Sicher, das Thema wird tabuisiert. Wir, bzw. die meisten Menschen, sind nicht bereit, sich damit zu befassen. Das verstehe ich, und meine es auch nicht anklagend. Mir ging es lange Zeit auch so. Deswegen bin ich davon überzeugt, wenn es gelingt, dieses Gefühl „damit habe ich nichts zu tun, und will mich damit auch nicht auseinandersetzen“, dieses Gefühl zu überwinden, dass es letztlich den Menschen hilft. Meine Erfahrung ist die, dass die, auch Angehörige, die sich nicht damit auseinandergesetzt haben, doch einen deutlich schwereren Weg gehen. Es kann sein, dass man von heut auf morgen Angehöriger eines Sterbefalls werden kann.
In Ihrem lesenswerten Buch erfährt auch der Leser, dass wir Menschen ohne Sterben nicht leben würden, und um Sterben zu verstehen, brauchen wir den Tod. Wenn man das philosophisch betrachtet, muss es einen nicht bedrücken, oder?
Ja und Nein. Also ja - der philosophische Zugang kann einem helfen, das Sterben besser zu verstehen. Ich glaube, dass der Tod zum Leben dazu gehört, dass das Leben auch nicht besser wäre, wenn es den Tod nicht gäbe.
Und nein - ich glaube aber auch, dass die philosophische Herangehensweise wenigen Menschen hilft, die individuelle Situation besser zu akzeptieren. Es ist ein zu hoher Anspruch, einem Sterbenden weismachen zu wollen, dass er sein Leid, das er im Moment empfindet, dämpfen kann, wenn er eine philosophische Herangehensweise behält. Die individuelle Situation ist viel stärker, es hilft auch niemandem, wenn man sagt, jetzt stell dich nicht so an, weil philosophisch gesehen ist ja alles nicht so schlimm (wir lachen). Die philosophische Sicht auf das Thema ist spannend, und kann für einen selber vielleicht auch eine Erweiterung sein, über das Thema nachzudenken.
Auch das Kapitel über „zu Hause sterben“ macht nachdenklich und relativiert diesen allzu frommen Wunsch. Ich persönlich bin für das Kapitel sehr dankbar. Konnten Sie darüber schreiben, indem Sie als Sanitäter grenzwertige Situationen erlebt haben?
Absolut, ich hatte tatsächlich einige Einsätze, wie todkranke Menschen mit allerletzter Kraft mit Sanitätern ins Krankenhaus gebracht wurden, wo man sagen kann, dem Menschen wäre es besser ergangen, wenn er sich früher hätte behandeln lassen. Ich kann den Wunsch verstehen, zu Hause zu sterben. Aber man muss sich im Klaren darüber sein, dass zu Hause kein Arzt um die Ecke erreichbar ist, und oft die Infrastruktur fehlt. Glücklicherweise muss man sagen, dass sich in den vergangenen Jahren da viel getan hat. Das ambulante Palliativ ist in Deutschland sehr ausgebaut worden, damit hat man die Möglichkeit auch zu Hause behandelt und versorgt zu werden.
Das begrüße ich sehr, ich glaube, dass ein Mensch dort sterben kann, wo er sich das wünscht, ich glaube aber gleichzeitig, wenn an dem Wunschort damit einhergeht, keine Behandlung zu haben oder eine schlechte, dass er unter Schmerzen sterben muss, ist es nicht gut. Wenn Schmerzbehandlungen, Atemwegskontrollen nicht gegeben sind, dann ist das „Zuhause“ nicht mehr der beste Ort zum Sterben. Das habe ich in dem Kapitel beschrieben, das man für sich selber bereit sein muss, sich ein bisschen offen zu zeigen und umzudenken. Der Wunsch nach dem perfekten Ort sollte eigentlich so geleitet sein mit dem, wo ich die beste Behandlung bekomme.
Oft ist es ja auch eine Glorifizierung, zu Hause sterben zu wollen.
Natürlich fragt man, wie ist die Aufwendung der Versorgung zu Hause, wieviel einfacher wäre sie im Krankenhaus? Ich warne immer vor generellen Aussagen, gleichwohl ist es wichtig zu verstehen, dass Menschen Angst vorm Krankenhaus haben, und die Angst ist nicht unberechtigt. Es gibt Geschichten von Patienten, die in ihren letzten Tagen im Krankenhaus leiden, aber was selten erzählt wird, sind die Geschichten von Patienten, die zu Hause sehr gelitten haben.
Es liest sich ironisch: Tipps und Tricks für Sterben.
Wie meinen Sie das?
Meiner Erfahrung nach ist es so, dass die ganz großen Gedanken zum Thema Sterben nicht immer weiterhelfen. Viele Patienten, die ich kennen gelernt habe auf ihrem letzten Weg oder auf den letzten Metern ihres Lebens, die waren sehr besorgt um kleine alltägliche Dinge. Zum Beispiel ein sterbender Patient, der unbedingt das Ladegerät für sein Handy haben wollte. Es sind einfache Dinge, die können den Menschen ein Lächeln zaubern, und darum geht es, den Alltag etwas schöner mit Tipps und Tricks zu machen, und nicht zusätzlich zu erschweren.
Herr Hütten, wie geht es Ihnen jetzt, nachdem Sie so ein starkes Buch geschrieben haben?
Erstmal bin ich froh, dass es für mich beendet ist, insofern habe ich das Gefühl der Erleichterung. Nun bin ich auf die Reaktionen gespannt. Mir ist klar, dass der Titel kontrovers ist und ich stelle mich auch der Kritik. Wenn Menschen sagen, ihnen fehlt an dieser oder jener Stelle etwas, kann ich damit umgehen, ich selber habe auch das Gefühl, dass man noch zwei oder drei Bücher darüberschreiben könnte. Das Thema ist so umfassend, dass es in einem Buch nicht abzuhandeln ist.
Es gibt so viele Fragen, der Leser, die Leserin kann in Ihrem Buch Antworten erlesen. Interessant ist das Kapitel „Schluss“, wo Sie auch die Forschung über Sterben mit einbeziehen. Halten Sie das für wichtig?
Absolut, die Wissenschaft ist die Basis meiner Arbeit, ich versuche sowohl bei der Süddeutschen Zeitung, wie auch als Buchautor, die Wissenschaft einzubeziehen. Für dieses Buch habe ich viel mit wissenschaftlichen Publikationen gearbeitet. Im Anhang des Buches ist eine große Übersicht. Bei einer Lesung sagte ich mal, dass mein Eindruck ist, dass die allermeisten Sterbenden sehr genau über ihre Situation Bescheid wissen, dass sie auf den Tod zugehen. Aus dem Publikum kam die Frage, wie ich das begründen kann, denn die fragende Frau hatte beobachtet, dass beim Sterben oft starke Verdrängungen sind, dass viele kurz vor dem Tod meinen, dass sie bald gesund werden.
Sterbeforschung ist extrem wichtig, auf der medizinischen Ebene, also, was passiert dort, und gleichzeitig müssen wir uns daran gewöhnen, dass es Bereiche zu diesem Thema gibt, die wahrscheinlich nie zu erforschen sind. Das große Thema: was passiert eigentlich, wenn wir gestorben sind? Wieviel oder was nimmt ein Mensch wahr, wenn er stirbt? Oder: gibt es eine Wahrnehmung nach dem Tod? Das werden wir wahrscheinlich wissenschaftlich nicht erkunden, auch wenn es spannend ist.
Kennen Sie den Film „Flatliners“?
Junge Ärzte machen an sich Selbstversuche, um Nahtod-Erfahrungen zu machen.
Gibt es ein Leben nach dem Tod? fragten sich Freunde. Um diesem Mysterium auf den Grund zu gehen, starten fünf Medizinstudenten wagemutige Selbstversuche. Der Film beschäftigt sich mit dem Thema Nahtod-Erfahrung in Verbindung mit Schuld und Sühne.
Doch auch hier nicht Schluss, ohne Ihnen vorher für Ihren Mut zu danken, dieses Buch geschrieben zu haben. Daraus: „Mit Blick auf die Biochemie ist das Sterben an und für sich nicht schmerzhaft. Richtig: Sterben tut nicht weh. Die Vorstellung das Sterben grausam sein muss, ist eng verbunden mit der gewaltigen psychischen Belastung, die du als Patient und Angehöriger erlebst.“
Vielen Dank für das ungewöhnliche Gespräch.
©Steffi.M.Black 2019 (Text)
©Autorenfoto Hanser Verlag (Bild)