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Gespräche



 01.09.2018 - Das Gespräch mit der Autorin Cornelia Naumann 



Cornelia Naumann

Die Autorin Cornelia Naumann ist vielseitig engagiert. Sie war Regieassistentin, Dramaturgin, Theaterpädagogin. Und war viel unterwegs. Zurück in München schreibt sie Romane, in denen die „Frau“ im Mittelpunkt steht. Zuletzt kam Ihr Buch über Sonja Lerch, eine vergessene Münchner Revolutionärin, im Gmeiner Verlag heraus. Wer kennt diese Frau in Weiß, die, der schon 1913 in Gießen der Doktortitel verliehen wurde? Eine Frau, die in Rüstungsbetrieben Reden für Frieden und Gleichberechtigung hielt? Sie ist die Genossin Kurt Eisners, Dr. Sonja Lerch, geb. Sarah Sonja Rabionwitz (1882-1918).


Frau Naumann,
die Protagonistin Sonja Lerch in Ihrem Buch „Der Abend kommt so schnell“, lebte in München zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Eine sympathische Frau, eine russische Jüdin, die u.a. mit Kurt Eisner Reden gegen den Krieg und für den Frieden in München hielt. Es ist ein intensives Buch über den Kampf für Frieden der Sonja Lerch. Ihr Leben, ihre Liebe, ihr Kampf um Emanzipation machen Sie, Frau Naumann, in diesem Buch gegenwärtig, und es ist sehr beeindruckend geschrieben. Wann kam Ihnen der erste Gedanke, über die Frau Sonja Lerch zuschreiben?

2004 war in der Monacensia eine Erich Mühsam-Ausstellung. Zu der Ausstellung gestaltete ich eine Lesung "Redet mir nicht von Kunst, ihr Stümper" mit Texten von Erich Mühsam. Als ich über ihn und die Zeit der Räterepublik recherchierte, stieß ich auf den Namen Sarah Sonja Lerch, die sich das Leben während der Revolution nahm. Sie interessierte mich. Doch dann beschäftigten mich zunächst andere Projekte.

Die Sprache von Sonja Lerch ist sehr modern. Woher kommt das Wissen über das Private von Sonja Lerch?
Nun, durch drei Jahre Recherche, die ich gemeinsam mit Günther Gerstenberg unternahm. Die Basis bildete der Fund der Verhörprotokolle im Bundesarchiv in Berlin. Sonja Lerch wurde als Streikführerin mit anderen Streikgenossen wegen Verdacht auf Landesverrat verhaftet. Für Landesverrat war nicht die Bayerische Justiz zuständig, sondern das Reichsgericht in Leipzig.

Sie schaffen mit dem Buch eine Realität zur damaligen Geschichte. Im Buch begegnen wir auch Menschen, die man aus anderen Literaturbüchern kennt, wie Victor Klemperer, der das Buch „LTI-Notizbuch eines Philologen“ geschrieben hat, Kurt Eisner, der der erste Ministerpräsident von Bayern war. Man fragt sich nebenbei, wie oft müssen sich Kriege, Verfolgung, Hunger wiederholen, wenn Menschen und eben wir „Frauen“ für ein besseres Leben auf die Straße gehen. Dieses Buch ist packend, man fühlt mit mit Sonja Lerch. Am Anfang des Buches steht ein Zitat „In meinem Ende liegt mein Anfang“ von Maria Stuart, warum haben Sie das ausgewählt?
Naja, genau deswegen: Im Ende liegt ein Anfang. Das ist das tragische Ende Sonjas ebenso wie Maria Stuarts. Sie sind Wegbereiterinnen, erleben aber nicht mehr ihren politischen Erfolg. Denn die Revolution beginnt erst mit dem Ende von Sonja Lerch. Sie hatte auf die Revolution hingearbeitet, da wird sie verhaftet und am 29.März 1918 tot in ihrer Zelle aufgefunden. Das war zwar das Ende von Sonja Lerch, aber es war der Beginn der Revolution, für die sie gekämpft hatte. Die damaligen Streiks ließen sich niederschlagen, aber die Revolution war nicht aufzuhalten, und am 7. November 1918 rief Eisner den Freistaat aus.

Sehr bewegend sind die Szenen, wenn Sonja Lerch im Gefängnis Am Neudeck, in der Nähe der Auer-Dult, den Abend auf sich zukommen sieht. Haben Sie persönlich Recherche in Neudeck gemacht?
Das Gefängnis Neudeck konnte ich nur noch von außen anschauen, es wird z.Z. luxussaniert. Ich hatte aber die Gelegenheit, eine Führung in Stadelheim mit zu machen. Sonja Lerch wurde nicht im Gefängnis Neudeck tot aufgefunden, sondern im Gefängnis Stadelheim. Als einzige Untersuchungsgefangene wurde sie am 15.März 1918 nach Stadelheim gebracht und isoliert.

„Königlicher Verrat“ ist auch ein Roman von Ihnen über die Königin Isabel und die Philosophin Christine de Pizan, Frankreich um 1407. Das Buch ist auch im Gmeiner Verlag erschienen. Wie ist das, wie fühlt sich das an, sich in eine Königin, oder Töchter von Soldatenkönigen oder in Menschen, denen schreckliches angetan wird, fürs Schreiben hineinzudenken? Entschwindet Ihnen da die Realität?
Nein, ganz im Gegenteil. Wenn ich an Wilhelmine, die Tochter des Soldatenkönigs denke, finde ich es haarsträubend, wie ein kleines Mädchen zerrieben wird zwischen seinen streitenden Eltern. Völlig egal, ob das König und Königin sind. Sie hat sich aber durchgesetzt und sich innerhalb ihrer Zwänge in Bereichen weitergebildet, die sie interessierten, und ist Komponistin und Theaterleiterin geworden. Anders ist es bei der kleinen Elisabeth von Bayern. Sie hatte als Frau eine tolle Karriere! Ich habe mich gefragt, wieso taucht sie denn in der Wittelsbacher Geschichtsschreibung überhaupt nicht auf? Ist sie denen peinlich-offensichtlich ja. Diese Elisabeth von Bayern, die dann zur Isabeau von Frankreich wurde - niemals ist ein Wittelsbacher König von Frankreich geworden! Aber Isabel gilt bis heute zu Unrecht als größte Hure Frankreichs, als Skandalnudel, als schlechte Mutter, überhaupt als schlechte Frau. Außerdem finde ich es spannend, sie durch erfundene Frauen aus dem Volk zu spiegeln: Wilhelmine hat eine Zofe, und Isabel lebt bei Hofe ein abgeschirmtes Leben, während Margaud, ein Flüchtlingsmädchen vom Land, ein völlig anderes Paris erlebt.

Aber wie ergeht es Ihnen - gefühlsmäßig, wenn man das so hautnah miterlebt?

Wenn ich in einer Geschichte drin bin, tauche ich in eine andere Welt ein und bin auch eine ganze Weile darin, bis der Schreibprozeß beendet ist. Und ich finde es besonders reizvoll, mir vorzustellen, wie sich der Stoff auf der Haut anfühlt, der damals getragen wurde, wie gingen die Leute aufs Klo, unter welchen Umständen und Bedingungen damals hatte Isabel 12 Kinder geboren, welche Musik war angesagt; das alles herauszufinden, finde ich spannend, und der eigene Alltag ist dann sehr weit weg.

Im Buch „Scherben des Glücks. Das Leben der Wilhelmine von Bayreuth“ haben Sie der Tochter Wilhelmine des strengen Soldatenkönigs, Friedrich Wilhelm I. einen Roman gewidmet. Was verbindet Sie mit der preußischen Prinzessin und späteren Markgräfin von Ansbach-Bayreuth?

Annette Kolb hatte in einer Biographie über sie geschrieben, dass Wilhelmine von Bayreuth die letzte echte Prinzessin sei. So ein bisschen wie die Prinzessin auf der Erbse. Und so verhielt sich Wilhelme auch, sie war zickig. Ich fand diese Frau interessant, die sagte, sie lebe nun auf einem Misthaufen Namens Bayreuth. Das war ziemlich deutlich, kein Wunder, dass sie als arrogant galt.

Auch eine große Entdeckung ist für Sie die Porträtmalerin Anna Dorothea Therbusch. Eine junge Frau die sich nicht durch Intrigen und Gewalt ihren Willen nehmen lässt. Was hat Sie dazu bewegt, Frau Therbuschs Leben aufzuschreiben?
Mich hat beeindruckt, wie Anna Dorothea Therbusch als fünffache Mutter an den Hof in Stuttgart gegangen ist und Mitglied der neugeründeten Akademie geworden ist und später sogar nach Paris. Als Jugendliche hatte Anna Dorothea keine Akademie besuchen dürfen. Aber sie hatte einen Vater und Schwager, die gemalt haben, und hatte bei ihnen die Grundbegriffe der Malerei erlernt. Denis Diderot (1713-1784) hatte sich abschätzig über Anna Dorothea Therbusch geäußert, Eric-Emanuel Schmitt hat sie für sein Stück "Der Freigeist" nur instrumentalisiert, sie sogar als Bilderdiebin hingestellt, die nicht malen konnte. Ich wollte die Geschichte aus der Sicht von Frau Therbusch erzählen. Warum ist Diderot so missgünstig, der zuerst A.D.Therbusch verehrte, sie urplötzlich fallen ließ und dann hässlich über sie redete, als sie Karriere machte. Das klingt eher nach einem beleidigten Liebhaber.

Frau Naumann,
ich denke, es ist eine Leidenschaft von Ihnen, über Historie zu schreiben.

Eher über historische Frauen. Ich stelle sehr oft fest, dass Frauen in der Historie sehr wohl vieles erwirkt haben, aber keinen Eingang in die Geschichtsbücher finden.

Werden die Frauen unterschlagen?

Nehmen wir Frau Therbusch. Sie hat über 200 Bilder hinterlassen, und kaum 10 Prozent ist in den Museen zu sehen. Der Rest ist in den Depots. Das ist ein Skandal, denn sie ist eine der wenigen Vertreterinnen der Aufklärung. In der Pinakothek gibt es drei Bilder von ihr, die seit Jahrzehnten nicht zu sehen sind. Ich hoffe, dass sich dies zu ihrem 300sten Geburtstag 2021 ändert und es eine Retrospektive gibt. So gesehen ist es mein feministischer Blick, den ich auf die Geschichte richte.

Sie forschen mit dem Historiker Günther Gerstenberg zusammen über die Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918. Unter dem Titel
„Vorschein der friedlichen Revolution in Bayern.
Zum 100-jährigen Jubiläum der friedlichen Revolution und
Gründung des Freistaats Bayern“

kuratieren Sie eine Ausstellung mit G.Gerstenberg über die vergessene Revolutionärin Sarah Sonja Lerch. Die Ausstellung ist DGB-Haus, Schwanthalerstr. 64 bis zum 25.10.2018 zu besuchen. Das Ausstellungsmaterial ist umfangreich, welche Freude, dass Dokumente aus dieser geschichtsträchtigen Zeit sichtbar gemacht werden. Sind die Exponate Originale?
Alle aus den vielen Archiven, denen wir großen Dank schulden, und Hilfe aus privaten Sammlungen, Zufallsfunde. Wir haben das Leben der Sonja Lerch in 9 Schlaglichtern erhellt, z.B. "Die Schweigende", "Die Landesverräterin" oder "Die Gefangene". Günter Gerstenberg ist ein exzellenter Grafiker und Zeichner, der Sonjas Geschichte mit seinen farbigen Hintergründen eine zusätzliche Aura verleiht, auch als blaue Blume der Hoffnung.

Verraten Sie uns, welcher Protagonistin Ihrer Romane wären Sie gerne begegnet und mit wem wären Sie gerne befreundet?
Ja mit allen! Ich stelle mir in diesem schönen Innenhof (wir sitzen im Café der Glyptothek am Königsplatz) ein Treffen von Frauen in Rokoko-Kostümen vor. Wilhelmine würde sich mit mir sicher nicht an einen Tisch setzen (Frau Naumann lacht). Ich muss sagen, sie interessieren mich alle gleichermaßen. Mit Sonja Lerch bin ich zum ersten Mal in mein Jahrhundert gekommen (schreibend) insofern liegt mir Sonja sehr am Herzen. Ich habe einen langen Anlauf gebraucht, um über sie zu schreiben, eine Zeitlang dachte ich, ich kann nicht das Leben einer jüdischen russischen Frau erzählen. Aber dann kam ich ihren Wünschen, ihrer Sehnsucht immer näher.

Das ist bewegende Geschichte, und Sie machen neugierig auf weitere Frauenleben.

Am 24. September 2018 ist im Gasteig, um 19 Uhr, im Carl Amery Saal eine Veranstaltung mit
Ihnen und Günther Gerstenberg, auf die wir hinweisen möchten:


Der kurze Traum vom Frieden.
Szenische Lesung

mit Cornelia Naumann, Günther Gerstenberg und
dem Schauspieler und Sprecher Robert Valentin Hofmann.
Das Frauenwahlrecht ist Kind der Räterevolution. Die war nicht nur Männersache.

Das zeigen die Autorin Cornelia Naumann und der Historiker Günter Gerstenberg mit ihren Büchern über den Januarstreik 1918 und die bislang unbekannte Revolutionärin Sarah Sonja Lerch, der der Roman „Der Abend kommt so schnell“ gewidmet ist.

Veranstaltet von Bücher & mehr e.V.,
Förderverein der Stadtbibliothek München

Moderation: Ulrich Chaussy
Eintritt kostenlos

Frau Naumann, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.



©Steffi.M.Black 2018 (Text u.Bild)