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Gespräche



 04.02.2018 - Das Gespräch mit Wolfram P. Kastner 



Aktionskünster Wolfram P. Kastner

Im Allitera Verlag ist von Wolfram P.Kastner das Buch "Auf einmal da waren sie weg. Die Maxvorstadt und ihre jüdischen Bürger" erschienen. Wir kennen W.P.Kastner als Aktionskünstler und er legt mit spektakulären Aktionen den Finger in die Wunde, wenn Kriegsverbrechen verehrt werden. Eine seiner bekanntesten Aktionen „Die Spur der Bücher“ erinnert an die Bücherverbrennung 1933 in Deutschland. W.Kastners Aktionen rufen regelmäßig sowohl Bewunderung und Anerkennung als auch Konflikte mit der Verwaltung, der Polizei und Justiz hervor. Wolfram P. Kastner gehört dem wissenschaftlichen Beirat der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung an und leitet das Münchner Institut für Kunst und Forschung.

Herr Kastner, wir kennen Sie als Aktionskünstler. Mit Ihren Aktionen rütteln Sie an deutscher Geschichte, und Sie haben durchgesetzt, dass in München jedes Jahr auf dem Königsplatz an die Bücherverbrennung im Nationalsozialismus erinnert wird. Jeder interessierte Mensch kann dabei sein und Texte aus den verfemen Büchern vorlesen. Nun haben Sie ein Buch herausgebracht:
Auf einmal da waren sie weg. Die Maxvorstadt und ihre jüdischen Bürger. Erschienen im Allitera Verlag. Es ist ein Erinnerungsbuch zum Gedenken an jüdisches Leben. Ist Ihre Familie davon betroffen gewesen?

Nicht als Verfolgte, sondern als Menschen die in dieser Zeit lebten. Alle die in dieser Zeit lebten waren in irgendeiner Art betroffen, und wir sind heute auch davon betroffen. Aber ich würde es für völlig falsch halten, wenn man die Erinnerung oder die der deutschen Geschichte denen ans Bein binden würde, die gewissermaßen als Leidtragende und Verfolgte davon betroffen waren, sondern es geht darum, dass wir in diesem Land die Geschichte dieses Landes im Kopf haben und wissen, was war und was in der Gegenwart und in der Zukunft sein soll. Um eine bessere Zukunft zu bauen, dazu sind alle gefragt.

In Ihrem Buch kommen der Leiter des NS-Dokumentationszentrum Münchens Winfried Nerdinger, auch die Journalistin und Schriftstellerin Amelie Fried und Historiker zu Wort. Wie war die Zusammenarbeit?

Die Zusammenarbeit zum Buchprojekt war so, dass wir zu dritt, Frau Dr. Eva Strauß und Frau Ingrid Reuther in die Archive gegangen sind, und uns die Dokumente angeschaut haben, die von den Tätern dort hinterlassen wurden.

In welchen Archiven wurden Sie fündig?

Wir waren im Stadtarchiv, im Staatsarchiv, Hauptarchiv. Wir haben Unterlagen und Dokumente nach Raub, Deportation, Mord und die nach 1945 erschwerten Rückgaben erforscht. Wie wir alle wissen, wurden die Zurückgekommenen nicht immer mit offenen Armen empfangen, und es wurde ihnen nicht selbstverständlich das zurückgegeben, was ihnen gehört hatte.

Ist daraus die Aktion mit den weißen Koffern entstanden?

Ja, ein Freund sagte mal, das Geheimnis der Erinnerung ist die Nähe. Und mit dem Projekt Weiße Koffer an Orte, wo die Menschen lebten wollten wir mehr als nur den Hinweis „ermordet am“ geben, denn die Menschen führten ein Leben und hatten ein Gesicht.

Ihr Buch, das im Allitera Verlag, Herbst 2017, erschienen ist, hätte doch viel dicker sein können. Ist doch so viel im 3.Reich in den Stadtvierteln passiert.

Natürlich hätte es wesentlich dicker sein können, aber wir haben nur fünf Standorte ausgesucht. So ein Projekt will auch finanziert werden. Wir haben zwar von der Stadt München Unterstützung bekommen, aber nicht für ein großes Projekt. In der Maxvorstadt lebten einige Hundert und man hätte sicher vor hunderten Häusern Erinnerungskoffer stellen können. Das ist von der Arbeit und Finanzierung einfach nicht zu machen gewesen. In der Hoffnung, und das ist ja auch ein Teil des Buches, dass es Nachahmer gibt. Im Buch ist auch eine Anleitung, wie man solche Aktionen macht, und ich hoffe darauf, dass es eine Anregung sein könnte für die eine oder andere Schule, Kirchengemeinde, Geschichtsvereine, das Historische Institut usw.

Wie haben Sie für das Buch „Auf einmal da waren sie weg“ recherchiert?

Wie gesagt, wir haben in Archiven tagelang geforscht. Da gibt es die Melde-Akten, die Polizei-Akten, da gibt es die Finanz-Akten, es gibt auch die Gutmachungs-Akten. Wir haben uns die Dokumente geben lassen, das ist nicht ganz einfach, wenn es um Datenschutz geht. Manchmal denke ich dass der Datenschutz eher ein Tatenschutz ist. Sie schauen so ungläubig? Diejenigen, die die Arisierung der Häuser vorgenommen haben, oder die als Nutznießer auf Versteigerungen/Zwangsenteignungen waren, werden auch geschützt. Da muss man dann Schutzfristverkürzungen beantragen, das ist eine bedrückende Arbeit.

Kennen Sie Fälle, wo Menschen in München versteckt worden sind und überlebt haben?
Da gab es wohl einige, aber ich habe das nicht erforscht. Da gibt es von der Frau Susanna Schrafstetter Publikationen, die Geschichten von jüdischen Menschen die im Untergrund überlebt haben.

Sie haben ein Institut für Kunst und Forschung gegründet. Was passiert da?
Kunst und Forschung. Ich denke, dass Kunst nicht nur aus dem Bauch heraus geschieht. Paul Klee sagte mal, Kunst macht sichtbar, was man sonst nicht sieht. Immer dann, wenn ich das Gefühl habe, dass da etwas unsichtbar gehalten wird, bin ich besonders daran interessiert um zu erfahren, was der Hintergrund ist. Und dazu muss man forschen.

Woher kommt Ihre Neugierde so tief in Geschichte hineinzugehen? Es tut doch auch weh, die traurigen Geschichten der Menschen mitzubekommen, wenn man Unsichtbares sichtbar macht.
Sagen wir es so, die Wirklichkeit provoziert mich. Die Zustände provozieren mich. Mein Schlüsselerlebnis ist ein Schulerlebnis, als damals zum Tag der Brüderlichkeit die Lehrer erzählten: es war alles nicht so schlimm, die Arbeitslosen waren von der Straße und Autobahnen wurden gebaut, usw., und dann wurden wir Schüler ins Kino geschickt. Ahnungslos und unvorbereitet sahen wir die Filme, die die GI‘s bei der Befreiung vom KZ‘ wie das KZ Dachau, KZ Buchenwald, aufnahmen. Ich sah unvorbereitet ausgemergelte nackte Menschenkörper, die in Gruben geworfen wurden. Es gab keine Erklärungen. Dann fing ich an zu fragen, doch fand ich nur Vertuscher und Verdränger, wie sie heute immer noch in vielen Ämtern und gesellschaftlichen Institutionen sitzen.
Blindheit ist was ganz Schlechtes für eine humane Zukunft, sehen ist sehr viel besser. Man muss die Geschichte und ihre Hintergründe offen sichtbar machen. Das ist ja nicht meine Privatangelegenheit die Zustände klar zu sehen, sondern das ist auch die Grundlage dafür, eine bessere Zukunft zu gestalten.

Damit lassen Sie auch zu, angefeindet zu werden? Es will ja nicht jeder mit der geschichtlichen Wahrheit konfrontiert werden.
Akzeptanz und Zustimmung sind mir natürlich lieber. Aber es gibt auch Morddrohungen, mit denen ich nicht locker umgehe, allerdings findet die Polizei dafür seltsamerweise nie Täter. Nun, noch ist es nicht so gefährlich in Deutschland, wie es schon mal in der Vergangenheit war. Und damit es nicht wieder so gefährlich wird wie es war, muss man heute etwas machen.

Es gibt eine Reihe Bücher zu ihren Ausstellungen. Ein wichtiges Buch ist „Die Spur der Bücher“, da dokumentieren Sie, wie Sie in 20 Städte Deutschlands, Denkzeichen zur Erinnerung an die Bücherverbrennung anbrachten. Wie ist Ihre Vernetzung? Sind weitere Bücher entstanden?

Es wird jetzt ein Buch mit dem NS Doku-Zentrum entstehen, wo einige meiner Aktionen drin sind. Ich könnte Bücher mit einem hohen Unterhaltungswert schreiben, es ist aber schwierig dafür Verlage zu finden.

Damit erübrigt sich die Frage, ob Sie weitere Bücher machen möchten?
Eigentlich ja. Ich habe so viel erlebt, es gibt so viele Geschichten die ich in dieser Stadt, in diesem Land und in anderen Ländern erlebt habe. Mir geht es nicht darum eine Autobiographie zuschreiben, sondern die Geschichten, die symptomatisch sind und sich in letzter Zeit entwickelt haben.

Herr Kastner, wir sind davon überzeugt, dass es Verlage gibt, die es auch für wichtig finden, Ihr Anliegen zu veröffentlichen. Wir sagen: vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2018 (Text u.Bild)