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Gespräche



 10.10.2017 - Der Autor Rafael Seligmann 



Dr. Rafael Seligmann

Rafael Seligmann ist Autor vieler Romane und Sachbücher. Sein neuester Roman „Deutsch Meschugge“, erschienen im Transit Verlag, ist Satire und Politkrimi zugleich. Die Handlung spielt im Jahr 2019 und ist unserer Zeit voraus. Eine deutsch-nationale populistische Partei wählt einen Juden als Vorsitzenden und Gallionsfigur.
Seit Anfang 2012 ist Rafael Seligmann Herausgeber der vier Mal im Jahr erscheinenden deutsch- und englischsprachigen Zeitung „Jewish Voice from Germany“. Seligmann ist Vorstandsmitglied des Vereins „GesichtZeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“.


Herr Seligmann, Ihr neuestes Buch „Deutsch meschugge“, ein Roman mit einer Handlung im Jahr 2019, und wer will, kann so manche Personen und gesellschaftliche Strukturen von heute wiedererkennen. Es ist ein temperamentvoller und amüsanter Roman, der die Verführbarkeit der Menschen nicht draußen vorlässt. Das Wort meschugge bedeutet „verrückt“. Sie aber waren nicht meschugge, als Sie 1988 Ihr erstes Buch „Rubinsteins Versteigerung“ veröffentlicht haben. In „Rubinsteins Versteigerung“, erschienen im Eichborn Verlag, beschreiben Sie selbstkritisch bis ironisch die Jugend Rubinsteins. Er ist ein junger Mann, in Israel geboren, der dann mit seinen Eltern in den 1950er Jahren nach Deutschland kam. Ein tolles Buch, sehr lesenswert, inhaltlich bis heute nicht überholt, wenn es um die Probleme zwischen Juden und Nichtjuden geht. Vielleicht hat sich die prüde Moral von damals gelockert. Wie sehen Sie Ihr Erstlingswerk heute, dreißig Jahre danach?
Ich bin froh, dass ich es mir von der Seele geschrieben habe. Der erste Roman ist meistens stark autobiographisch. Ich habe mein Leben als Jude geschildert. Ich musste das Buch schreiben. Ich hatte bis dahin, wenn ich als Jude gedemütigt wurde, einen unbändigen Zorn auf die Menschen, die mich gekränkt hatten. Ich kann mir vorstellen, dass es heute vielen Ausländern so geht. Nachdem ich das Buch geschrieben hatte, verlosch mein Zorn und ich begann zu begreifen: du lebt jetzt in Deutschland und bist ein deutscher Jude.

Bis zum satirischen Buch „Deutsch Meschugge“, das gerade erst im September 2017 erschienen ist, kamen von Ihnen viele Bücher auf den Buchmarkt. Auf meinem Tisch liegt ein dicker Stapel. Sehr amüsant sind u.a. die Bücher „Die Jiddische Mamme“, „Der Milchmann“, beide im DTV Verlag. Eine indiskrete Frage, sind die jiddischen Mammen immer noch so dominant?
Ja, das sind sie. Das gleicht einem Naturgesetz und hat historische wie gesellschaftliche Ursachen. Bis vor ca. 150 Jahren, vor der Emanzipation der Juden, war der Mann für die Familie im Alltag nicht präsent. Die Männer waren fast alle aushäusig beim Thora-lernen oder als Hausierer unterwegs. Sie kamen erst am Vorabend des Sabbat zurück. Die Frau übernahm das Familien-Management und die Kindererziehung. Sie hat eine dominante Stellung, dagegen kam und kommt kein Mann bis heute an. Wenn ich an die Politikerin Golda Meir erinnern darf, war sie sehr populär bei ihren Ministern, selbst Generäle akzeptierten ihre dominante Frauenrolle.
Doch zum Roman „Der Milchmann“. Da geht es weniger um die jiddische Mamme, sondern es ist die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden. Er hat Schuldgefühle, weil er die Hölle nur überlebt hat, indem er skrupellos war und andere verriet. Sein Leitspruch war: in der Hölle kann man nicht kalt bleiben. Nach dem Krieg aber versuchte er, sich ein besseres Image zu erkaufen.

Sie schrieben einen provokanten Roman „Der Musterjude“, erschienen im Claassen Verlag. Im diesem Roman geht die Ironie weiter, und der Protagonist, der Jeansverkäufer Moshe Bernstein, erlebt die deutsche Gesellschaft. Von der Kritik wurde gesagt, dass das ein aufsässiges und freches Buch ist, das Sie da geschrieben haben. War das von Ihnen auch so gemeint?
Ja, es war so gemeint. Moshe Bernstein, Jeansverkäufer in München-Schwabing, fühlt sich zum Journalisten berufen. Er schafft es und stilisiert sich zum Anwalt des „gesunden Volksempfindens“, denn schließlich darf er als Jude das sagen, was für andere tabu ist. Hauptsache, der deutsche Leser solidarisiert sich damit. Soweit seine Grundidee, doch Moshe Bernstein übertreibt.

Dann haben Sie sich mit Zeitgeschichte beschäftigt. Als Politikwissenschaftler hielten Sie Vorlesungen an der Uni München. Es folgte das Sachbuch „Mit beschränkter Hoffnung“ mit Untertitel „Juden, Deutsche, Israelis“. Das Buch kam 1991 im Hoffmann u. Campe Verlag heraus. Ein aufklärerisches Buch. In diesem Buch enttarnen Sie Leerformeln wie „Verantwortung für Israels Sicherheit“ und plädieren für die Integration sowjetischer Juden in Deutschland, soweit aus dem Klappentext des Buches. Das ist ein optimistisches Buch, sehen Sie das heute auch noch so?
Ich habe den Einfluss der Vernunft und des Geschichtsbewusstseins realistisch aufgefasst. Damals, 1990-1993, hätte die Möglichkeit bestanden, hierzulande eine Einwanderung von Juden aus der zerbrechenden Sowjetunion zu erlauben. Gutausgebildete Menschen, Europäer. Seinerzeit bestand die Chance, dass der Vorkriegsstand von einer halben Million Juden in Deutschland erreicht worden wäre. Eine Gelegenheit für die deutsche und jüdische Gesellschaft. Das hat man damals in Deutschland nicht wahrnehmen wollen, man versteckte sich lieber hinter den Israelis, die gesagt haben, es kann keine jüdischen Flüchtlinge geben, denn wenn einer als Jude fliehen will, dann soll er nach Israel gehen. Das war in meinen Augen eine einmalige Chance für das deutsch-jüdische Verhältnis gewesen.

Ganz anders das Buch „Hitler - Die Deutschen und ihr Führer“, verlegt bei Ullstein. Das ist eine Herausforderung, doch als Politikwissenschaftler hat Sie das Thema Juden in Deutschland nicht losgelassen. Dieses Buch ist eine Aufarbeitung der Zeit von 1919 – 1945 und eine Studie über Hitlers Weg zur Macht. Wollten Sie sich nur Luft machen, oder die Menschen aufrütteln, gar auffordern, wachsam zu sein?
In diesem Buch geht es mir nicht um Juden. Mich hat eine andere Frage interessiert: wieso sind die Deutschen Adolf Hitler gefolgt? Dass er gewählt wurde, mag man verstehen oder nicht. Doch dass die Deutschen Hitler bis 1945 gefolgt sind, bleibt die entscheidende Frage bis heute. Ich habe eine Antwort darauf: Hitler teilte die Angst der Kleinbürger vor der Moderne, Angst vor einem aufgeklärten Land, vor einer modernen Kunst, vor einer modernen Gesellschaft. Sie fühlten sich von der Moderne bedroht. Hitler und mit ihm Millionen Kleinbürger haben sich hinter ersonnene romantische, neogermanische Werte gestellt. Die Kleinbürger sind Hitler gefolgt, weil er ihre Ängste teilte und in die Welt brüllte. Vorwärts zur Gegenwart: Die Angst vor der Moderne sehen wir heute wieder aufscheinen.

Herr Seligmann, „Deutschland wird Dir gefallen“, erschienen im Aufbau Verlag, ist Ihre Autobiographie und zugleich ein eindrucksvolles Zeitzeugnis Ihres Lebens. Ihr deutsch-jüdisches Leben ist sehr turbulent, und mit Ihrer großen Beobachtungsgabe halten Sie Erlebnisse und Entwicklungen fest, fördern das deutsch-jüdische Verhältnis. Ist der Titel mit seiner Botschaft „Deutschland wir Dir gefallen“ in Ihrem Leben aufgegangen?
Zum Teil ja, zum Teil nein. Ich werde bald 70 Jahre alt und kann Bilanz ziehen, was mir an Deutschland gefällt. Es gab viele Vorurteile. Die deutschen Menschen, die deutsche Gesellschaft hat sich gut entwickelt, Deutschland ist weltoffener geworden. Die Förderung der Bildung ist stark, die Bevölkerung kümmert sich mehr um Alte und Kranke als in den 60 Jahren zuvor. Doch was mir nicht gefällt ist, dass die alte Prinzipenreiterei immer noch das öffentliche Leben prägt. Ich erwähne nur das Vorgehen von Behörden und amtliche Vorschriften, hinter die sich Beamte und ganze Behörden gerne stellen. Das Klammern an Vorschriften, ihre Benutzung als Waffe, ist leider geblieben.

Wie ist der Blick zurück zu Ihren literarischen Büchern?

Ich bin glücklich, dass ich den Mut fand, Schriftsteller zu werden. Ich war damals an der Ludwigs Maximilians Uni München Akademischer Rat, daher verbeamtet. Dennoch habe ich habe ich die Kraft gefunden, meine Beamtenstelle aufzugeben. Ich wollte Bücher schreiben, das kann man nicht nebenbei machen. Als Schriftsteller braucht man Freiheit und keine Beamtensicherheit.
Welches meiner Bücher mir gefällt mir am besten? Das jeweils letzte. Das ist wie bei Eltern, dieses Kind lieben sie besonders. Dennoch habe ich nicht vergessen, dass mein erster Roman, „Rubinsteins Versteigerung“, für mich sehr wichtig war. Er ermöglichte mir den Durchbruch als Schriftsteller.

Ein wichtiges Buch müssen wir noch erwähnen: „Die Kohle-Saga“, im Hoffmann u. Campe Verlag. Das ist eine Familiengeschichte aus dem Ruhrpott. Als Journalist berichten Sie über Fakten und Verhältnisse. Hier geht es um eine polnische Einwandererfamilie, in deren Schicksal sich über Jahrzehnte hinweg die Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus spiegelt, weitgehend identisch mit der Firmengeschichte der Ruhrkohle AG. Der Konzern machte diesen Roman 2006 allen Mitarbeitern zum Weihnachtsgeschenk. Das Buch entspricht nicht einem provozierenden Seligmann, wie kam die Idee zu diesem Buch?
Ich wurde vom Verlag gefragt, ob ich bereit wäre, eine Firmengeschichte zu schreiben, und habe gesagt nein, denn ich bin weder Wirtschaftsjournalist noch Wirtschaftswissenschaftler, noch interessieren mich Firmengeschichten. Was mich interessiert sind Menschen, nur wenn der Verlag von mir eine vollkommen frei assoziierte Geschichte von Menschen im Revier sucht, dann bin ich dazu bereit, diese zu schreiben. So ist dieses Buch entstanden.

Gibt es für Sie Lieblingsorte, an denen Sie gerne aus Ihren Büchern einem Publikum vorlesen?
Es gibt Orte, an denen ich besonders gerne gelesen habe: früher in der Basis-Buchhandlung in München, oder in Berlin in der Buchhandlung am Bayrischen Platz bei Frau Fritsch, oder in der Israelitischen Kultusgemeinde München. Doch der entscheidende Punkt ist nicht der Ort, sondern das Publikum. Wenn die Leute neugierig auf meine Bücher sind, dann macht es mir Spaß, eine „Lesung“ zu machen.

Herr Seligmann, was ist heute für Sie das wichtigste?
Gesund zu bleiben, weiter von meiner Frau und meinen Kindern und von meinen Freunden geliebt zu werden. Und natürlich, dass ich neugierig bleibe.

Ein Journalist stellte Ihnen die Frage: und welche Frage wurde Ihnen noch nicht gestellt? Herr Seligmann, das tun wir hiermit auch.

Wozu soll ich mir meinen Kopf darüber zerbrechen?

Herr Seligmann, Ihre Bücher geben Anlass zu Diskussionen, zum Nachdenken und auch zum unterhaltsamen Lesen. Oder man liest vierteljährlich die deutsche Ausgabe Ihrer Zeitschrift „Jewish Voice from Germany“ und bekommt Informationen über das deutsch-jüdische Leben hier zu Lande mit. Wer will, kann daran teilnehmen. Vielen Dank für das Gespräch.


©Steffi.M. Black 2017 (Text)
©Quelle Internet (Bild)