Gespräche
17.04.2018 - Das Gespräch mit dem Künstler und Buchgrafiker Wilfried Blecher
Wilfried Blecher
Wilfried Blecher ist ein vielseitiger Künstler, er illustrierte Literatur und erfand wunderbare Kinderbücher. 1965 erhielt er für die Bilderbücher „Wo ist Wendelin“ und 1969 für den „Kunterbunten Schabernack“ den Deutschen Jugendliteraturpreis für das schönste Bilderbuch des Jahres. Zahlreiche seiner Werke wurden immer wieder bei den „50 schönsten Büchern des Jahres“ ausgezeichnet. Sein Hauptthema ist „Verwandlung“, dementsprechend zeichnete sich sein Werk durch steten Wandel und Entwicklung aus. Wilfried Blecher radierte, arbeitete in Holzstichen, Schabetechnik und Collage. Er gebrauchte ungewöhnliche Materialien und entwickelte verschiedene Formen der Buchgestaltung. Und er benutzte Sprache in Wort- und Buchstabenspielen und experimentierte mit verschiedenen Formen, wie z.B. mit einem Schattentheater.
Am 08. Mai 2018 wird Wilfried Blecher 88 Jahre.
Herr Blecher, Ihre phantastischen Bilderwelten, wie das bekannte Buch „Der Kunterbunte Schabernack“ haben Groß und Klein zum Lachen gebracht, mit dem „Durcheinander Bilderbuch“ konnte man so herrlich scherzen. Das war damals. Heute gibt es sehr viele Kinderbücher mit Illustrationen von Ihnen. Wer hat Sie als Künstler für Kinderbücher entdeckt?
Ich mich selber, es hat mir niemand den Weg gezeigt oder darauf hingewiesen, dass ich sowas machen könnte. Ich habe als 6-jähriger schon kleine Zettel zusammengeheftet, auf denen ich gezeichnet hatte. Die Zettel waren mir sehr wichtig, ich nahm sie abends mit ins Bett und habe sie unters Kopfkissen gelegt.
„ABC der Teufel sitzt im Tee“, auch ein zauberhaftes Buch von Ihnen mit diesem sehr lustigen Titel. War es wirklich eine Teetasse, die Sie zu dem Buch inspiriert hatte?
Nein, das ist ein Gestaltungselement für den Umschlag. Inspiriert hat mich die Verwandlung, dass sich Figuren permanent verändern. Dass zum Beispiel eine menschliche Figur zum Tier wird, oder umgekehrt und das sie sich auch noch verkleiden können. Ich hatte mich schon als Kind gerne verkleidet, und mein Vater hatte in der Hinsicht viel Sinn für Humor und mich in dieser Richtung geprägt.
Die Liste der von Ihnen illustrierten Werke der Weltliteratur ist lang. Einige Bücher haben den Status von Raritäten erlangt und sind selbst im Internet nur teuer zu erwerben. Was sagen Sie dazu?
Ist das nicht ein normaler Vorgang? Schön, wenn Titel Zeiten überdauern, und gute wie seltene Werke dann auch ihren Preis dafür haben.
Ihr umfangreiches Werk wird zum Glück nicht vom Internet verschluckt.
Nein, denn es befindet sich in der Bestandsbibliothek des Bilderbuch-Museums Troisdorf auf der Burg Wissem und der andere große Teil im Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Dort sind auch meine Collagen und Zeitspiele untergebracht.
Die Liste der illustrierten Kinderbücher ist ebenso lang. Von 1960 an illustrieren Sie Kinderbücher und haben zweimal den Jugendbuchpreis für das schönste Bilderbuch des Jahres bekommen. Welches Buch war am eigenwilligsten beim Entwerfen?
Am eigenwilligsten war das Buch „Der kunterbunte Schabernack“, obwohl ich mehrere Verwandlungs-Bilderbücher gemacht habe. Sie wissen ja, ein Verwandlungs-Bilderbuch ist ein Buch, wo man die Seite verändern kann, nicht nur, dass man sie nur umklappt, sondern dass man auf der Seite Teile samt Texten auswechseln kann. Also, Verwandlungsbücher sollen an Zauberei erinnern.
Eigenwillig ist auch Ihre Biographie. In fortgeschrittenem Alter hatten Sie das Unglück, nach einer Augen-OP das Krankenhaus als Fastblinder zu verlassen. In ihrer Biographie „Bindung mit Binde“ im Allitera Verlag, erfahren wir Ihre früheren Abenteuer und auch die Ihrer neuen Lebenssituation. Sie bringen nicht nur humorvolle, auch andere bizarre Erfahrungen zu Papier. Es ist ein aufrüttelndes Buch über Betroffene und Nichtbetroffene, und hilft uns Sehenden, die Sehbehinderten besser zu verstehen. Wie haben Sie das alles bewältigt?
Dazu gibt es natürlich zuerst zu sagen, dass das eine grauenhafte Erfahrung war. Ich habe längere Zeit ganz, ganz schlecht gesehen, und nach sieben Augen-Operationen haben sich der Zustand und das Sehvermögen ein wenig verbessert. Das war eine schwierige Zeit. Das ist eine einschneidende Geschichte, die mich sehr am Arbeiten gehindert hat, da ging einfach gar nichts mehr.
Wie lange hat Ihre Genesung gedauert, bis Sie wieder etwas Künstlerisches tun konnten?
Vier Jahre lang war ich in ärztlicher Behandlung, der Zustand war sehr belastend und forderte von mir sämtliche Reserven und auch die von meinen Freunden. Dann ging es etwas aufwärts, es geht, und bis heute kann ich so einigermaßen sehen.
Herr Blecher, wollten Sie auch einmal einen Roman schreiben?
Einen Roman? (Herr Blecher wiederholt ungläubig. Nein. Ich habe geschrieben was mit meinen Bildern zu tun hatte, wo das Bild im Vordergrund stand, Bild und Text. Ich hatte das Glück gehabt, dass der Hanser Verlag auf mich zukam und sagte: Machen Sie mir ein Buch. Da musste ich lachen und meinte: ihr habt doch schon so viele. Danach habe ich mir Texte gesucht, die mir wichtig waren. Ich nahm einen Text aus dem 18. Jahrhundert, und für diesen Text durfte ich auch noch die Übersetzerin vorschlagen. Das ist mittlerweile ein bibliophiles Buch geworden.
Also, einen Roman wollten Sie nicht schreiben, stattdessen haben Sie ein Licht- und Schattentheater mit der Autorin Cordula Zickgraf gegründet. Wie ist diese Idee entstanden?
Ich habe schon als Kind ganz kleine Figuren aus Papier ausgeschnitten, dann in einen Karton ein viereckiges Loch geschnitten und mit Transparentpapier beklebt, und habe es von hinten beleuchtet, damit der Schatten nach vorne fiel. Diese Idee hat mich nie wieder losgelassen, bis heute bin ich immer wieder darauf zurückgekommen und habe es weiterentwickelt. Über diese Technik, wie man mit einfachen Mitteln so ein Theater machen kann, ist im DTV Verlag ein kleines Taschenbuch „Das Müllmonster“ erschienen. Ich konstruierte ein Theater, dass einerseits zwei Menschen dahinter verschwinden konnten, andererseits konnte man es bequem transportieren. Damit hatte ich großen Erfolg. Der Erfolg wurde nochmal gesteigert, als Cordula Zickgraf mitarbeitete. Dank ihrer schönen Gesang- und Sprechstimme, ihres schauspielerischen Talentes war sie eine große Bereicherung, außerdem schrieb sie viele Texte für unser Theater. (Blechers Augen strahlten, als er darüber berichtete). Das waren schöne Theaterabende. Richtig gut waren die.
In einem Ausstellungskatalog habe ich gelesen, dass Ihre Lebensmaxime „ Leben ist Bewegen“ heißt. Konnten Sie an diesem Motto immer festhalten?
Ja, es war halt so. Ich hab, toi toi toi, Glück mit meinem Beruf gehabt. Ich konnte Sachen machen, die anders waren, als das, was es vorher gab. Das ist ja immer ein Wagnis, weil Menschen in der Regel lieber das haben wollen, was sie schon kennen. Wenn sie mit etwas ganz Neuen konfrontiert werden, kann das schon schiefgehen. Aber ich habe Glück gehabt, ich kann mich nicht beschweren, was meine Resonanz anbelangt.
Was war das erste Buch, das Sie illustriert haben? Hatten Sie Zweifel beim Text?
Mein allererstes Buch war ein Versuch während meiner Studienzeit, zu dem ich auch den Text selber entworfen habe, das aber nicht verlegt wurde. Ich habe es dann in Ausstellungen, die ich veranstaltet habe, ein paarmal gezeigt. Es war zumindest ein Versuch, in ein Medium einzusteigen, das für mich ganz neu war. Den Erfolg brachte eigentlich meine Auseinandersetzung mit der Technik, also die technische Umsetzung eines Buches. Das hatte mich genauso interessiert wie der Inhalt des Buches. Ohne dieses Arrangement hätten die Verwandlungs-Bilderbücher nicht zweimal hintereinander den Jugendbuchpreis bekommen, weil es auch technisch was war, was es eigentlich noch nicht gab.
Herr Blecher, Ihr künstlerisches Schaffen fand in einer Zeit statt, als Künstler noch mit Druckern und Verlegern zusammengearbeitet haben. Das muss doch anstrengend gewesen sein, verglichen mit heute, wo alles digital vereinfacht ist?
Nein, im Gegenteil. Das brachte eine ganz andere Grundeinstellung mit sich. Das Buch damals war, auf jeden Fall bei den Verlagen mit denen ich zu tun hatte, für die Verlage ein Abenteuer, wozu sie bereit waren, ein Wagnis einzugehen.
Welche künstlerische Zeit war am spannendsten für Sie?
Die Zeit, die ich mit Verlagen technisch experimentieren konnte. Das blieb bei mir ja nicht bei dem einzelnen Buch, sondern ich habe dann für verschiedene Verlage ganz unterschiedliche Originalgrafiken gemacht. Der Hanser Verlag hat ein Buch gemacht mit Radierungen von mir, das ist eine ungewöhnliche Sache gewesen, denn das war ja wirklich ein Wagnis für den Verlag.
Was haben Sie in Ihrem künstlerischen Wirken am meisten vermisst?
Vermisst? Vermisst habe ich gar nichts, denn wenn ich was vermisst habe, habe ich versucht, es zu realisieren.
Herr Blecher, noch eine Frage zum Schluss, die Pädagogik war für Sie sehr wichtig, warum?
Mein Vater war Lehrer und hat die Kinder geprügelt, und wenn die älter waren als ich, kriegte ich in der Pause die Prügel von denen zurück. Das war eine heikle Situation, denn das durfte ich dem Vater nicht sagen, damit hätte ich alles nur schlimmer gemacht. Das war eine grausliche Erfahrung, die mich mein Leben lang bis heute nicht losgelassen hat. Im Nachhinein könnte man damit meine pädagogischen Ambitionen verstehen, da steckt dahinter: ich will‘s mal besser machen. Deswegen habe ich Lehraufträge an Kunstakademien und Grafikfach-schulen angenommen und bis vor zwei Jahren habe ich Malkurse in einer Einrichtung für körper- und geistig behinderte Menschen gegeben. Das Grundmotiv ist immer das gleiche gewesen, zu zeigen: geht das, und geht das auch mit Behinderten? Es geht hervorragend.
Herr Blecher, Ihr Engagement ist ganz großartig und wir wünschen Ihnen viel Spaß und Freude beim Wecken von Kreativität. Vielen Dank für das Gespräch.
Die Leser möchten wir auf die Ausstellung
"Wandel und Verwandlung"
in der Seilvilla, Nikolaiplatz 1b,
Vernissage 03.Mai 2018, 19 Uhr
aufmerksam machen, die der Freundeskreis zu Ehren Wilfried Blechers gestaltet. Wir laden Sie herzlich dazu ein.
©Steffi.M.Black 2018 (Text)
©Privatarchiv W.Blecher(Bild)