Gespräche
01.09.2017 - Die Schriftstellerin
Heidi Rehn
Heidi Rehn
Heidi Rehn ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie reist gerne zu den Schauplätzen ihrer Bücher. Ihr Roman „Die Liebe der Baumeisterin" (im Knaur Verlag) wurde mit dem "GOLDENEN HOMER" ausgezeichnet. Viele historische Romane hat Heidi Rehn verfasst. Sie ist Mitglied bei „Delia“, der Vereinigung Deutschsprachiger LiebesromanautorInnen. Ihr neuestes Buch „Das Haus der schönen Dinge“, erschienen im Knaur Verlag, zeugt von Aufstieg und Fall einer 100-jährigen Warenhaus-Dynastie in München.
Frau Rehn, in Ihrem neuesten Buch „Das Haus der schönen Dinge“ (im Knaur Verlag) beschreiben Sie großartig die Geschichte eines Münchner Kaufhauses über die Jahrhundertwende 1900 bis in die 1950er Jahre. Haben Sie trotz Internet und Amazon Sehnsucht nach einem solch fantastischen Kaufhaus mit seiner großen Kultur?
Auf jeden Fall. „Das Haus der schönen Dinge“ erzählt von einer Epoche, in der Kaufhäuser ein gesellschaftlicher Ort waren. Es gab darin Bibliotheken, Leseorte, wohin man sich zurückziehen konnte, Ausstellungen, Veranstaltungen, Lesungen. Der Kundschaft wurden neben materieller Dinge auch geistige Nahrung angeboten. So etwas wäre heute eine großartige Bereicherung und ein interessanter Gegenpol zum Internet.
Auf 650 Seiten erleben wir bayerische Zeitgeschichte und aufregende Liebesgeschichten. Konkurrenz und Religionszugehörigkeit führen zum Schlagabtausch und machen Freunde zu Feinden. Sehr detailliert beschreiben Sie die Machenschaften der Nazis, die skrupellos über das Leben anderer bestimmen. Wie haben Sie das Schreiben durchgestanden?
Das war in der Tat eine Herausforderung. Ich habe bereits einige Romane über die Zeit des Aufstiegs der Nationalsozialisten geschrieben, speziell über die Frühzeit in München, und trotzdem war es das erste Mal, dass es mich emotional derart gepackt hat. Die Handlung reicht über die Schwelle von 1933 hinaus, schildert also ausführlich die Zeit, in der die Nazis an der Macht waren und Menschen wie die Hirschvogls ihnen aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln wehrlos ausgeliefert waren.
Nachdem ich das Buch „Das Haus der schönen Dinge“ gelesen habe, betrachte ich die Münchner Innenstadt mit anderen Augen, besonders die Kaufhäuser und Läden. Sie geben dem Leser viel Stadtgeschichte mit. Durften Sie in privaten Archiven stöbern und haben Sie noch Menschen befragen können, die die Ereignisse selbst erlebt haben?
Ich habe mit Verwandten, Bekannten und Nachbarn gesprochen, die diese Zeit noch erlebt haben. Speziell in privaten Archiven habe ich allerdings nicht gestöbert. Die Zeit ist mittlerweile in zahllosen Publikationen, Geschichtswerkstätten etc. hervorragend dokumentiert. Außerdem kann man sich mittels der damaligen Zeitungen, Radioaufzeichnungen und historischen Filmaufnahmen sehr gut hineinversetzen.
Sie machen im Buch sensible Assoziationsbögen zu zurückliegenden Situationen. Wollten Sie damit Kriegsbeschreibungen umgehen?
Ich möchte nicht bloß Ereignisgeschichte wiedergeben oder die unermesslichen Kriegsgräuel schildern. Darüber kann man in zig Sachbüchern nachlesen. Der Krieg ist nicht der Kernpunkt meiner Geschichte, sondern seine Auswirkungen auf den einzelnen, den „Normalbürger“. Es geht in meinem Roman um Menschen, die mit den Folgen der Naziherrschaft und des Krieges klarkommen müssen. Das zu schildern halte ich für weitaus wichtiger, als sich in den immer gleichen Kriegsbeschreibungen zu verlieren.
Was ist aus dem Karussell geworden, das am Eingang des Kaufhauses stand?
Das Karussell war ein wichtiges Assessoire für die Weihnachtsdeko im Kaufhaus. Es ist wohl auf dem Dachboden eingestaubt und im Bombenhagel verbrannt.
Ich war überrascht zu lesen, dass es schon 1927 Boxsport für Frauen gab. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Meine Lieblingsautorin Vicki Baum war eine leidenschaftliche Boxerin. Sie hatte in Berlin bei einem berühmten Boxtrainer Boxstunden. Das hat mich sehr fasziniert. Anfang der 1920er Jahre war Boxen ein Modesport für Frauen. Das fand ich einen sehr spannenden Aspekt der Emanzipation.
Wie war das für Sie, als der Roman „Das Haus der schönen Dinge“ mit dem Jahr 1950 zu Ende geschrieben war?
Es ist für mich immer schwer, Figuren loszulassen. Ich träume oft noch von ihnen, und beim Aufwachen denke ich, das musst du noch dazu schreiben usw. Doch das Buch ist fertig, und ich finde es schön, den Leserinnen und Lesern Raum zu lassen für ihre eigenen Phantasien, wie es weitergehen könnte.
Ich würde mir eine Verfilmung vom „Haus der schönen Dinge“ wünschen, und den Rudolf von Waikersheim muss Ulrich Tukur spielen.
Eine tolle Idee! Eine Verfilmung ist natürlich mein ganz großer Traum. Es ist ein spannender Stoff über jüdische Kaufhäuser, überhaupt Kaufhäuser in München. Zugleich erzählt es sehr viel über Wirtschafts- und Konsumgeschichte, aber auch über die Entwicklung der Gesellschaft. Ein sehr vielschichtiger Stoff. In Zeiten von Internet und Amazon sollte von der Kaufhaus-Kultur, die es einmal gab, erzählt und gefilmt werden.
Die Leserinnen und Leser können auch an Ihren „Literarischen Streifzügen durch die Geschichte der Münchner Warenhausdynastien“ teilnehmen. Sie organisieren die Streifzüge
Sonntag, 08. Oktober, 11 – 13 Uhr,
Sonntag, 22. Oktober, 11 – 13 Uhr und
Sonntag, 05. November, 11 – 13 Uhr
Wer mitgehen möchte, bitte unter http://heidi-rehn.de/streifzug.html anmelden.
Frau Rehn, die Liste Ihrer Bücher ist sehr lang, sie reicht vom historischen Kriminalroman wie u.a. das Buch „Blutige Hände“ über den großen Streik der Schneider von 1870 in München bis zum Frauenroman „Das Institut“ über den Uni-Alltag aus der Sicht einer jungen Wissenschaftlerin.
Bei den Büchern, die vor dem „Haus der schönen Dinge“ erschienen sind, sind mir die Jahreszahlen 1913, 1914, 1929, (alle im Knaur Verlag) aufgefallen, in denen die Romanhandlungen spielen. Ist das ein Zyklus?
Die Geschichte der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts ist mein persönliches Steckenpferd. Diese Epoche hat mich schon während meines Studiums sehr beschäftigt. Damals sind ungeheuerliche Dinge passiert. Man denke etwa an den Mai 1919, das blutige Ende der Räterepublik – Bürgerkrieg mitten in München! Danach setzt der Wandel ein. München bzw. Bayern wird unter dem Regierungspräsidenten Gustav Ritter von Kahr zur „Ordnungszelle Bayern“ als Gegenpol zur angeblich chaotischen Berliner Republik. Diese Entwicklung hat den Aufstieg von Hitler mit ermöglicht.
Mir geht es darum zu zeigen, was diese Ereignisse mit den Menschen gemacht haben. Ich möchte in die Zeit eintauchen und mir vorstellen, wie sich das Leben verändert, wenn plötzlich, so wie in den Maitagen 1919, mehr als tausend Münchner, die keine Revolutionäre waren, umgekommen sind. Was ist in den Angehörigen, den Freunden, den sonstigen Münchnern danach vorgegangen? Wie kommt es, dass sich die, die Monate vorher noch so begeistert Kurt Eisner zugejubelt haben, plötzlich gegen alles wenden, was auch nur im Entferntesten mit seinen Ideen zu tun hat? Von einem auf den anderen Tag ist nichts mehr so wie es war, zugleich aber herrscht eine unglaubliche Angst vor weiterem Terror und neuer Gewalt. Bittere Enttäuschung macht sich breit, weil der Frieden, den man sich nach Ende des Ersten Weltkriegs inständig herbeigesehnt hat, erst einmal so furchtbare Erlebnisse nach sich gezogen hat.
In Ihrem Roman „Der Sommer der Freiheit“ nimmt die Geschichte eine dramatische Wende. Der Erste Weltkrieg verändert das unbeschwerte Leben zweier Freundinnen, bis dahin, dass sie sich als Kriegsreporterinnen ausgeben, um einen geliebten Menschen aus Feindeshand zu retten. Große und intensive Auseinandersetzungen über Krieg und Leben setzen Sie toll in Szene. Dichte wie dramatische Atmosphäre erleben wir als Leser mit. War es für Sie aufregend gewesen, dieses Buch zu schreiben?
Jedes Buch ist ein Abenteuer und aufregend zu schreiben. Speziell Frauengeschichten, Frauenemanzipation von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigen mich immer wieder. Darum geht es auch in diesem Roman. Alles dreht sich um die Frage: was war für Frauen damals möglich, gerade im Krieg? Beim Recherchieren bin ich auf Berichte über weibliche Kriegsreporterinnen gestoßen. Das hat mich zur Geschichte meiner beiden Hauptfiguren inspiriert.
Auch im Roman „Tanz des Vergessens“, der im Nachkriegsdeutschland nach 1918 spielt, fühlen wir, wie in den „Goldenen Zwanzigern“ die aufkeimende Nazizeit durch die Hintertür in den Alltag vieler normaler Bürger eindringt und das Leben vergiftet. Wollen Sie mit dem Text mahnen?
Zum einem soll dieser Roman zeigen, dass die sogenannten „Goldenen Zwanziger“ für den Großteil der Bevölkerung gar nicht so golden waren. Der Frieden wurde herbeigesehnt, aber erst einmal herrschten blanke Not und Chaos, dann bürgerkriegsähnliche Zustände und Revolutionen. Im braven Deutschland, mitten in München und in Berlin. Wie schnell Stimmungen kippen, wie schnell Menschen sich in solchen Zeiten von vermeintlich einfachen Lösungen für diese schrecklichen Zustände verführen lassen, interessiert mich. In den letzten Jahren haben wir hautnah miterlebt, wie leicht verführbar wir auch heute noch sind.
Manchmal würde ich gerne einen Sprung in die Zukunft machen und aufs Heute zurückschauen, so wie wir heute auf die vergangene Zeit zurückschauen. Vielleicht mit dem „hätten wir nicht… warum war das so“… etc. Trotz Fernsehen und Internet sind wir nicht schlauer als zuvor und genauso verführbar. Leider.
Die Romanspaziergänge im Juli 2017, durch das München der Zwanziger zu den Büchern „Tanz des Vergessens“ und „Spiel der Hoffnung “, haben wir Leser verpasst. Doch wer möchte, kann mit Ihnen einen Sondertermin ausmachen. Anmeldung unter: heidi(at)dierehn(dot)de oder 01577/93 97 801. 2018 wird es neue Termine geben. Aktuelle Infos über die Website www.heidi-rehn.de
Klar ist mir durch Ihre Bücher geworden, wie weit einst die Frauenemanzipation schon fortgeschritten war, dann aber durch den Nationalsozialismus und die Adenauerzeit zurückgedreht wurde, um sich in den 1970 Jahren erneut durchzusetzen. Bei Lohn und Rente hapert es noch immer.
Das passt gut zu meinem nächsten Roman, der im Mai 2018 erscheint. Der spielt in der Adenauerzeit, im Wiederaufbau, im Wirtschaftswunder. Darin geht es u.a. darum, was Frauen schon einmal erreicht haben, aber was plötzlich wieder weg ist an Emanzipation und Fortschritt.
Der Roman „Spiel der Hoffnung“ ist ja der reinste Krimi. Auweia, eine junge Frau, die wenig über ihre Herkunft weiß, heiratet 1927 in die feine Gesellschaft ein, und entdeckt ungewollt Geheimnisse, die sie bedrohen. Sie verteidigt ihr Leben. Das Ende des Romans will ich keinem Leser im Voraus verraten.
Wie spannend ist da erst Ihr Roman „Die Liebe der Baumeisterin“, für den Sie den Preis „Goldener Homer“, eine Auszeichnung für beste historische Gesellschaftsromane, bekommen haben.
Frau Rehn, gerne lassen wir uns für „einige Hundert Seiten oder eine Handvoll Stunden“ (Zitat Heidi Rehn) in eine vergangene Epoche bis zur Gegenwart entführen, und freuen uns sehr auf Ihre nächsten Bücher. Vielen Dank für das Gespräch.
©Steffi.M.Black 2017 (Text)
©Erol Gurian (Bild)