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Gespräche



 27.05.2016 - Kathrin Hartmann - Journalistin u. Autorin 



Kathrin Hartmann

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Autorin. Themen wie „Verschwenderischer Lebensstil“ oder „Zynismus von Wirtschaft und Politik“ geht sie nach und dokumentiert die „Neue Armut in der Konsumgesellschaft“ in ihren Büchern. Sie veröffentlichte u.a. das Buch „Ende der Märchenstunde“.
Kathrin Hartmann zeigt in diesem Buch auf, wie die Industrie von den Lohas (engl. Lifestyles of Health and Sustainability) profitiert. Frau Hartmann hat eine Interview-Kolumne "Hartmann!" im Magazin Enorm und ist im Berufsverband Freischreiber.



Frau Hartmann, einer kritischen Autorin Fragen zu stellen ist heikel. Wo fängt man an. In Ihren Büchern rücken Sie Vorurteilen zu Leibe.
Wie sind die Reaktionen auf Ihre Bücher „Ende der Märchenstunde“ oder „Wir müssen leider draußen bleiben“ oder „Aus kontrolliertem Raubbau“? (alle Blessing Verlag).

Ich habe viele positive Reaktionen auf alle drei Bücher bekommen, aber natürlich auch Kritik. Ich habe eine Polarisierung bemerkt, etwa beim ersten Buch „Ende der Märchenstunde“, in dem ich sage, dass das „ethisch einkaufen“ die Welt nicht verändern wird. Da fühlte sich mancher umweltbewusste Käufer auf den Fuß getreten. Noch stärker war die Polarisierung beim “Wir müssen leider draußen bleiben“, in dem ich die Tafeln und Mikrokredite scharf kritisiere. Ich schaue hinter die Kulissen dessen, was allgemein als gut empfunden wird. Polarisierung ist auch Teil einer Diskussion, und die möchte ich anstoßen.

Die Titel Ihrer Bücher appellieren an das Gewissen. Dem „gut geglaubten Konsumverhalten“ wird in Ihren Büchern der Boden unter den Füßen weggezogen. Das ist Ihre Absicht. Was hatten Sie für ein Schlüsselerlebnis?
Ich bin den 1970er und -80er Jahren groß geworden, nicht weit weg vom Atomkraftwerk Grundremmingen. Ich war es einfach gewohnt, dass man, wenn man gegen etwas ist, sich solidarisch zur Wehr setzt. Entweder auf dem politischen oder dem Protestweg, in Debatten. Ich kenne das nicht anders. Irgendwann war ich sehr überrascht, dass Konsum als Mittel zur Weltrettung so propagiert wurde. In der Gesellschaft hatte sich etwas grundlegend verändert. Es herrschte die Vorstellung, dass man nun als Individuum etwas besser machen könnte, anstatt solidarisch miteinander dafür zu kämpfen. Das hat nur dazu geführt, dass Unternehmen ihre an sich schädlichen Produkte als grün ausgeben. Je mehr ich in den Ländern des Südens recherchiere, desto mehr sehe ich, wie die Menschen unter den Folgen von den falschen Vorstellungen von Konsumglück, Politik und Nachhaltigkeit derer leiden, die in den reichen Ländern der Welt leben.

In Ihrem Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“ thematisieren Sie die wachsende Kluft zwischen arm und reich. Hier die „Wirtschaftselite“, die sich als Leistungsträger definiert, und dort die „Unterschicht“, die nicht auf Teilhabe, sondern nur auf Brosamen hoffen darf. Was bewegt Sie zu dieser Einschätzung?

Die gesellschaftliche Spaltung und die Einkommens-Unterschieden sind nirgends in Europa so groß sind wie in Deutschland. In reichen Ländern ist Armut oft nicht sichtbar, auch deshalb, weil sie vor allem Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutet. Der Abstieg kann jeden treffen, das treibt mich um. Diese Leistungsversprechen betrachte ich mit Sorge, den nur damit ist es möglich, Arme als „Sozialschmarotzer“ zu bezeichnen. Damit ruiniert die neoliberale Politik die Gemeinschaft und hetzt die Menschen gegeneinander auf.

Sie beschreiben eine Mittelschicht, die nach oben buckelt und nach unten tritt. Gehört aber die Mittelschicht nicht selbst zu den Verlierern bei der Kluft zwischen arm und reich, wenn ich an die vielen arbeitslosen Akademiker und die „Generation Praktikum“ denke?

Ja genau. Die Mittelschicht ist viel näher dran abzurutschen, als aufzusteigen. Man wird nicht reich durch Arbeit. Man wird reich durch Erbschaften, durch Ausbeutung, kriminelle Finanzgeschäfte.
Bildung ist kein Garant mehr für wirtschaftliche und soziale Sicherheit. Und das tut weh, sich einzugestehen: „ich hab doch alles richtig gemacht“, und es nützt trotzdem nichts. Deswegen solidarisiert sich die Mittelschicht mit den Reichen. Aber das ist eine fatale Idee, wir müssen uns im Gegenteil gegen die solidarisieren, die die Gesellschaft ausbeuten. Dieses Begriffspaar „Leistungsträger-Sozialschmarotzer“ vermittelt ein falsches Bild von Arbeit und Wohlstand. Wenn man sich nach oben orientiert und meint, man teilt die Privilegien der Reichen, dann führt dies nur zu politischen Entscheidungen, die uns allen schaden: es wird von unten nach oben verteilt. Das ist seit Jahren der Fall.
Jetzt führt es zu einem beängstigenden Rechtsruck, der geprägt ist von Besitzstandswahrung: es wird so getan, als nähmen ausgerechnet die Armen einem was weg. Eine vollkommene Fehlannahme, denn es sind ja die Reichen, die sich zum Nachteil der anderen an der Gemeinschaft bereichern. Aber dieses Denken ist kaum vorhanden, und das ist etwas, was ich wirklich gerne verändern würde.

Haben Sie Vorbilder?

Klar. Ich bin großer Fan von Jean Ziegler. Ich teile seine Wut, seinen Antrieb für bedingungslose Gerechtigkeit. Ich finde es toll, wie er schreibt. Ich bewundere alle, die gegen alle Hürden Widerstand leisten für Gerechtigkeit. Dazu zählen auch sehr viele Menschen, die ich bei meinen Recherchen kennengelernt habe, Aktivisten in den Ländern des Südens, die gegen Ausbeutung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlage kämpfen – da habe ich echte Helden kennengelernt. Zum Beispiel Estela Ramirez aus El Salvador, die mit anderen Frauen gegen große Konzerne wie Adidas kämpft und gegen menschenverachtende Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen.

Wie weit lassen Sie den Zynismus von Wirtschaft und Politik in Ihr privates Wohnzimmer?
Es ist schwierig sich davon zu distanzieren. Ganz abschalten geht nicht. Außerdem gehört der politische Diskurs und Protest von jeher zu meinem Leben. Aber wenn ich mich nach Feierabend entscheiden soll, mir einen „schrecklichen“ Dokumentarfilm anzuschauen, oder mit Freunden in den Biergarten zu gehen, entscheide ich mich manchmal doch lieber für den Biergarten.

Sie reisen allein und ohne finanzielle Unterstützung in Gebiete der dritten Welt und recherchieren vor Ort. Sie konfrontieren den Leser in Ihren Büchern mit der ungeschminkten Wahrheit über unsere Konsumgesellschaft. Wenn Sie von einer Reise zurückkommen, wie lange brauchen Sie um sich umzustellen?
Es ist nicht ganz einfach. Ich nehme immer zwei Sachen nach Hause mit. Bilder, die einem nicht loslassen: die abgebrannten Wälder und Palmölmonokulturen in Indonesien, die Matschhölle in den Schrimps-Aquakulturen in Bangladesch, das Leid der Menschen. Das macht mich wütend, und gleichzeitig sehe ich dort Menschen, die vor Ort kämpfen und damit erfolgreich sind. Aber es hilft, die Dinge aufzuschreiben und öffentlich zu machen – das vertreibt das Gefühl der Ohnmacht.

Halten Sie öffentlich Vorträge über Ethik-Lügen, oder Vorschrift-Glauben?

Ja, oft, die Einladungen kommen von verschiedenen Organisationen, die zu den Themen, über die ich schreibe, arbeiten.

Wie sind Sie politisiert worden?
So richtig politisiert wurde ich, als in unserer Kleinstadt eine Müllverbrennungsanlage gebaut werden sollte. Da gab es riesige Proteste, an denen ich teilgenommen habe. Umweltzerstörung fand damals ja unmittelbar vor unsere Haustür statt. Ich bin im Landkreis Neu-Ulm aufgewachsen, wo die Pershing-Rakten stationiert waren, die Proteste damals haben mich fasziniert. Besonders oft auf der Straße war ich dann, als Flüchtlingsheime brannten, später gegen die Golf-Kriege.

Die Kapitalismuskritik ist die Basis all Ihrer Bücher, wie sind Sie dazu gekommen?
Nun ja, die verheerenden Folgen des Kapitalismus sind ja mehr als sichtbar. Aber auch mein Studium in Frankfurt, das geprägt war von Adorno und der Frankfurter Schule, hat mein linkes Bewusstsein gestärkt, das ich natürlicherweise, aus einem tiefen Gerechtigkeitswunsch und Empfinden von Ungerechtigkeit mitgebracht habe. Und das Studium in Frankfurt forderte den Blick auf einer ganz anderen analytischen, wissenschaftlichen Ebene heraus.

Frau Hartmann, ist für Sie Qualität gleich besseres Leben?

Das ist natürlich auch eine sehr individualistische und ökonomische Sicht, deswegen funktioniert dieses Argument ja so gut. Insbesondere beim ethischen Konsum – man tut sich selbst etwas Gutes und damit rettet man die Welt. Ein gutes Leben ist eines, das gerecht ist und nicht auf Kosten anderer gestaltet wird. Und dazu trägt jetzt ein qualitativ hochwertiger Porsche eher nicht so bei.

Ihre Sachbücher sind sehr umfangreich, doch lesen sie sich wie Thriller. Es gibt einen Kommentar über Sie „ ...sie schreibt, wie Konstantin Wecker singt“. Das empfand ich auch beim Lesen Ihrer Bücher, und bin dafür dankbar. Sachbücher sind meist trocken und dröge. Wie machen Sie das, dass es bei Ihren Bücher nicht so ist?
Zum einem bewegen mich die Themen sehr, sie machen mich wütend, und das spürt man wohl. Zum anderen lege ich großen Wert darauf, dass nicht ich über diejenigen rede, um die es geht, sondern das sie selbst zu Wort kommen. Ich hoffe, dass es das ist, was die Bücher lebendig macht, und dass ich so den Leser mit auf meine Reisen nehmen kann.

Ja, aufregende Dinge schreibt das Leben selber.

Was erleben Sie auf Lesungen?
Ach, alles mögliche. Bei meiner allerersten Lesung stand nach 10 Minuten ein Besucher auf und schrie „Sie sind Kommunistin“. Das fand ich lustig. Manchmal gibt es auch Szenenapplaus. Die Lesungen sind sehr gemischt, meistens positiv und mit Zuspruch, denn es kommen ja Zuhörer aus dem Umfeld, die sich mit den Themen beschäftigen. Oft bedanken sich Zuhörer bei mir, weil ihnen meine Texte nahe gegangen sind. Das dreut mich dann ganz besonders. In Diskussionsrunden streite ich mich aber auch gerne.

Fördern Sie Zukunftssalons?

Ich vernetzte mich mit Menschen, die an denselben Themen arbeiten und interessiert sind. Meine Kleinbauern-Freunde in Bangladesch versuche ich auch mit Kontakten und Vernetzung zu unterstützen.

Wie wichtig ist für Sie Ihr Blog www.ende-der-maerchenstunde.de ?

Einen Blog „zu machen“ bedeutet Freiheit. Ich mache das sehr gerne, weil ich schreiben kann, worüber ich will und in welcher Form. Ich bin dann doch immer wieder überrascht, dass die Texte dann auch von vielen gelesen und verbreitet werden. Deswegen wünschte ich, ich hätte ein bisschen mehr Zeit dafür.

Die Tendenz, sich gut und biologisch zu ernähren verstärkt sich. Den Markt für solche Produkte zu stärken, fordern immer mehr umweltbewusste Menschen, trotzdem fahren sie Autos. Können Sie da nicht ein Auge zudrücken?
Die meisten Vielflieger finden sich laut einer Studie unter den Wählern der Grünen … aber es liegt nicht an mir, Augen zuzudrücken. Ich bin generell der Meinung, dass individuelle Lebensentscheidungen niemals ein so großes Ganzes ergeben werden, dass es die Welt verändert. Aus genau dem von Ihnen genannten Grund. Man betreibt einen Ablasshandel mit sich selbst. Wenn man ein normale Fußgängerzone besucht, findet man keinen Hinweis darauf, als hätte eine kritische Masse ihr Konsumverhalten geändert, im Gegenteil. . . Da gehen die Leute eher auf die Barrikaden, wenn die Grünen den vollkommen banalen Veggie Day vorschlagen, als dagegen, dass wir von unseren Steuern die Banken und das Vermögen der und Reichen gerettet haben..

Welche weiteren Themen haben Sie sich für Ihre nächsten Bücher vorgenommen?

Ganz genau weiss ich es nicht. Aber mich interessieren weiter die falschen Vorstellungen, die wir von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Arbeit haben, und wie sich das alles auf unsere Gesellschaft auswirkt. Das wird für mich ein Thema bleiben.

Mit Ihren Recherchen suchen Sie nach Lösungen, dass Menschen auf dieser Welt nicht in Armut leben müssen. Welche Botschaft möchten Sie Ihren Lesern mitgeben?

Ich suche nicht nach Lösungen, ich suche danach, welche Veränderungen die Menschen vor Ort wollen und wie man sie erreichen kann. Was wir als Lösung verstehen, sind ja genau die Dinge, die den Leuten vor Ort wieder auf die Füße fallen: Biosprit, Mikrokredite, Emissionshandel.... Letzteres bedeutet, wir kaufen uns das Recht auf Dreck, einfach, weil wir es können. Ich versuche Alternativen herauszufinden: was wollen die Menschen vor Ort, womit sind sie erfolgreich und was müssen wir hier tun, damit Gerechtigkeit global funktioniert.

Im Klappentext Ihres Buches „Ende der Märchenstunde“ wird dieser Satz zitiert „Dieses Buch wird Sie wachrütteln, denn wer in der Demokratie schläft, wird irgendwann in der Diktatur des Marktes aufwachen“. Frau Hartmann, das sind harte Worte, und das ist gut so. Ihre Bücher werden dazu beitragen, wachsam zu bleiben. Vielen Dank für das Gespräch.

weitere Infos auch unter:
https://www.youtube.com/watch?v=z-X9RHJ2xzw | Kathrin Hartmann: "Aus kontrolliertem Raubbau" (Blessing Verlag)

©Steffi.M.Black 2016 (Text u.Bild)