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Gespräche



 03.01.2016 - Robert Hültner- Schriftsteller 



Robert Hültner

Robert Hültner ist vielfach preisgekrönter deutscher Krimiautor. In seinen Büchern, Hörspielen: Radio-Tatort, Drehbüchern und Theaterstücken ist Robert Hültner auf der Suche nach der Wirklichkeit und findet immer wieder Spuren in der Geschichte. Aus intensiven, akribischen Recherchen hat Robert Hültner acht historische Kriminalfälle aus den letzten zwei Jahrhunderten bayerischer Geschichte rekonstruiert, und atemberaubend in dem Buch „Tödliches Bayern“ (btb Verlag) nacherzählt. Die Spur realer Verbrechen führt quer durch Bayern. Doch auch seine vielen anderen Romane sind Geschichten aus Bayern oder München. Sein Inspektor Kajetan hat so manches aufgedeckt und den Leser tief in die Bayerische Geschichte blicken lassen.

Inspektor Kajetan hält Sie ganz schön auf Trab. Wird Inspektor Kajetan verfilmt? Die Kajetan-Fans warten darauf.
Wenn das Konzept künstlerisch und inhaltlich stimmt, hab ich nichts dagegen. Ich hab schließlich lange im Filmbereich gearbeitet, als Regisseur oder als Betreiber eines Wanderkinos, und ich achte in meinen Erzählungen auf das Bildhafte. Aber darum kümmert sich der Verlag, ich selber hab keine Zeit dafür.

Warum ist es Ihnen wichtig aus der Geschichte Geschichten zu schreiben?
Das wird Sie jetzt vielleicht verwundern: Eigentlich interessiert mich Geschichte nicht sonderlich, und ich habe bei meiner Arbeit nie das Gefühl, über etwas Vergangenes zu schreiben. Was mich hauptsächlich interessiert ist, aus der Geschichte all jene Erfahrungen herauszufiltern, die uns helfen, unsere Gegenwart zu verstehen und zu bewältigen.

Herr Hültner, Ihre Lesungen vor Publikum sind großartig. Wenn man die Augen schließt, glaubt man die verschiedenen Personen sitzen mit Ihnen am Tisch. Sie mögen ihre Figuren?
Ja. Ich bin meinen Figuren sehr nahe. Auch denen, die man nicht zum Freund haben möchte. Ich glaube, dass man bei jeden Menschen, auch bei einem Verbrecher, versuchen soll zu verstehen, warum er etwas tut. Was aber nicht mit 'Verständnis haben' im Sinne dessen, ihn aus seiner Verantwortung für seine Taten zu entlassen, verwechselt werden darf.

Die Figuren aus ihren Büchern bringen uns die Zeit und ihre Menschen nah. Man spricht von Ihnen, Herr Hültner, auch als Volksschriftsteller.
Sicher, in meinen Roman spielt auch das ländliche Milieu immer eine wesentliche Rolle, das – und dass ich dieses Milieu gut kenne, weil ich ihm entstamme - mag mich von vielen anderen Autoren unterscheiden. Aber jeder, der gesellschaftliche Realität umfassend abbildet, ist letztlich „Volksschriftsteller“. Doch der Begriff hat Patina angesetzt, schon Oskar Maria Graf hat ihn in den 20-er Jahren für sich ironisiert. Ich erzähle Geschichte von den Menschen, das ist alles. Es ist fast egal, wo sie leben und woher sie kommen.

Die Handlungen spielen hauptsächlich in Bayern. Einer Ihrer ersten Romane war „Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski“ (btb Verlag). Sein Romanheld will wissen: wer steckt hinter dem Attentat auf dem ersten Ministerpräsidenten, Kurt Eisner, des Freistaats Bayern. War das die Tat eines Einzelnen, oder hatte der Täter Hintermänner. Inspektor Kajetan klärt einen der brisantesten Mordfälle der deutschen Geschichte. Beruht das auf historischen Dokumenten?
Die Romanhandlung ist natürlich fiktiv, aber ja, ich hab im Vorfeld die vorhandenen Prozessunterlagen gesichtet und kam zum Ergebnis, dass die damaligen Ermittlungen mehr als fragwürdig waren. Wichtige Spuren wurden nicht beachtet, einige Aussagen lassen zwingend Schlüsse zu, dass sich Zeugen absprachen. Allein schon der Ton in den Protokollen befremdet, und gegenüber den Verdächtigen, von denen viele höchsten Adelskreisen angehörten, klingt eine manchmal fast devote und klammheimlich beipflichtende, rücksichtsvolle Haltung seitens der ermittelnden Behörden an. Für mich jedenfalls ist die Einzeltäter-Theorie keinesfalls haltbar, und es wäre spannend, wenn dieser Mord, der wie die Liebknecht-Luxemburg-Morde so verhängnisvolle Konsequenzen für die deutsche Geschichte hatte, von Experten noch einmal neu aufgerollt werden würde.

Beachtenswert ist Ihre Webseite mit der Rubrik: Mörderisches Bayern. Mit Ihren Texten sind Sie mit bayerischen Schauspielern auf Tour. Das wird das Publikum begeistern.
Das scheint es zu tun, denn mittlerweile ist „Mörderisches Bayern“ Kult, auf jeden Fall eines der am längsten laufenden Tournee-Programme, die ich kenne. Wir haben 1998 damit angefangen, Anlass war der Deutsche Krimipreis, den ich damals bekommen habe. Die Aufführung im damaligen „Hinterhoftheater“ mit Textcollagen aus den Kajetan-Romanen hatte so gute Resonanz, dass wir damit auf Tournee gegangen sind, bis heute, und immer noch in selber Besetzung: Udo Wachtveitl als Darsteller, Hans Kriss als Erzähler, die von den Musikern Erwin Andreas Koll, Erwin Rehling und Sebi Tramontana begleitet werden.

Sie entdecken immer wieder neue Stoffe aus der bayerischen Geschichte, die Sie in ihren Romanen behandeln. Sind Sie ständig auf der Suche?
Kommt mir nicht so vor. Das Neugierig sein, das Zuhören und Nachfragen, manchmal bis an die Grenze der Indiskretion, ist ja quasi Berufskrankheit. Es gibt noch so vieles, was nie erzählt worden sind. Aus dem ländlichen Bayern hab ich viele Geschichten und Dramen, oft in erschütternder, fast shakespeareshafter Intensität, erzählt bekommen, und es Geschehnisse, die oft nur noch im personalen Erzählen existieren, nie aufgezeichnet worden sind. Es gibt relativ wenige Autoren, die die Geschichten, welche auf dem Land geschehen sind, verfolgt haben. Menschliche Geschichten vom Widerstand, von Solidarität, Geschichten des wilden, aufsässigen Bayern – da gibt es noch viele Schätze zu heben. Für uns und für die nächsten Generationen, auch um das Bild über Bayern zu erweitern, nicht selten auch zu korrigieren.

In ihrem Roman „Am Ende des Tages“ fängt so spannend und mitreißend an, dass man als Leser ganz aufgeregt wird. Wie schaffen Sie diesen Spannungsbogen?
So etwas ist erst einmal schlichtes Handwerk. Wissen muss man, dass eine Szene immer nur dann als spannend empfunden wird, wenn sie etwas mit dem zu tun hat, was vorher geschehen ist oder was nachher geschehen könnte. Ist eine Schilderung mit kleinen Informations-Injektionen aufgeladen, die andeuten, dass da ein Drama entstehen könnte, stachelt sie die Neugier an. Gelingt das, hat der Erzähler schon gewonnen.

Herr Hültner, sind Sie wegen der politischen Inhalte Ihrer Kajetan Romane angegriffen worden? Inspektor Kajetan ermittelt ja in den 20-30iger Jahren bei Verbrechen, die von den Nationalsozialisten begangen wurden.
Angriffe nicht, es gibt manchmal Diskussionen, Nachfragen. Bei Lesungen stell ich im Publikum hauptsächlich immer wieder ein großes Erstaunen über die Vielfältigkeit und den Reichtum unserer Geschichte fest. Darüber, welche Aspekte verschwiegen wurden. Wen das überhaupt nicht interessiert, der kommt erst gar nicht zu meinen Lesungen.

Aber Sie kreieren auch so humorvolle, komische Situationen, dass man sich schief lacht. Woher beziehen Sie solche Komik?
Im wirklichen Leben liegen Komik und Tragik nun mal oft beieinander, auch wenn Posen und Pathos das manchmal verneinen möchten. Ich mag Sprache gern, die Gesten und Formen, mit denen Menschen miteinander in Kontakt treten. Daraus kann man viel schöpfen. Ich höre einfach gerne zu, sammle die Geschichten, die mich berühren und oft begeistern. Und ich achte darauf, wie sie erzählt werden. Meine Vorliebe bezieht sich übrigens nicht nur auf den bayerischen Dialekt. Er ist keine Qualität an sich. Wenn ein bayerischer Idiot etwas Idiotisches sagt, dann klingt seine Sprache sehr schnell umso idiotischer. Was aber nach meiner Erfahrung zutrifft ist, dass man sich ihr, wie in allen Volkssprachen, schlechter verstellen kann. Deshalb hat sich ja auch ein Hitler, obwohl profund bairischer Muttersprachler, in den Öffentlichkeit immer hochdeutsch geäußert.

Die Szene mit dem Hund im Gasthaus, die Sie neulich vorgelesen haben, gab es die auch wirklich?
Sie spielt im Roman zwar zum Ende der 20-er Jahre, ich habe sie aus Erzählungen von Leuten, die die Ausläufer dieser Epoche noch miterlebt haben, gestaltet. Wobei ich sie mit einer ähnlichen Szene, wie ich sie noch Ende der 60-er Jahre in einem Haidhauser Wirtshaus erlebt habe, verknüpft habe.Wie gesagt, ich höre gerne Geschichten, Und ich komme aus einer Gegend, wo das Erzählen miteinander noch sehr wichtig war, in Gasthäusern, im Familien- und Bekanntenkreis. Das waren nicht nur Geschichten aus Gegenwart und naher Vergangenheit, sonder manche, deren Wurzeln in der Antike zu finden sind. Dieses sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, nannte man früher „fabeln“, die Geschichten mussten im engen Sinne gar nicht „wahr“ sein, sondern einfach etwas wesentliches und damit für das Leben wahres verhandeln. Ich jedenfalls fühle mich immer sehr geehrt, wenn ich als „Fabler“ bezeichnet werde.

Glauben Sie, dass die Zeiten, in denen Ihre Romane spielen, radikaler waren als heute?
Nein, die Zeiten sind immer potentiell radikal, wenn man genauer hinsieht. So unwahrscheinlich es sein uns heute erscheinen mag, aber das, was in den zwanziger Jahren geschehen ist, könnte heute auch wieder passieren. Manchmal ist es geradezu beängstigend, wenn man in der Geschichte Strukturen, Verhaltensmuster und politische Tendenzen findet, die es noch heute gibt. Die Bagatellisierung rechter Gewalt beispielsweise, die die Weimarer Zeit prägte, die hirnlose Militarisierung der Außenpolitik gibt es auch heute wieder. Die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte hat mich da wachsamer gemacht.

In dem Buch „Am Ende des Tages“ wird „Walching“ erwähnt. Das ist ein eigener Buchtitel. Sollte man zum besseren Verständnis über Inspektor Kajetan „Walching“ zuerst gelesen haben?
Wer es tut, freut sich natürlich, wenn bekannte Orte und Personen in späteren Romanen wieder auftauchen. Aber die sechs Romane mit Inspektor Kajetan sind jeweils abgeschlossene Erzählungen, deren Inhalt auch ohne Kenntnis der anderen Romane verständlich sind.

In Ihren Büchern bekommen wir Leser deutsche und bayerische Geschichte mit. Aber was war denn die „Deutsche Stunde“ in Bayern?
Das war der Name der ersten Radiosendung in den zwanziger Jahren, die Anfänge des Bayerischen Rundfunks. Mir ist es auch immer wichtig, die technologische Entwicklung dieser Epoche zu schildern. Sie ist Basis vieler Verhaltensweisen, und die Veränderung der Massenkommunikation etwa durch den Rundfunk hat die Wirklichkeitswahrnehmung der Menschen damals gravierend verändert. Die Nazis haben das sofort begriffen und für sich ausgenutzt.

Im Buch „Tödliches Bayern“ haben Sie Kriminalfälle, die Sie ausgegraben haben, in fesselnden Geschichten festgehalten. Das Leben schreibt wohl immer noch die irrsten Geschichten. War das Zufall, dass Sie diese Fälle entdeckt haben?
Wie schon gesagt, als Autor geht man neugierig und mit aufgestellten Antennen durchs Leben. Natürlich muss man dann auch überprüfen, ob der eine oder andere Fall sich schlüssig nacherzählen lässt, und was die Quellenlage hergibt. Spannend an diesem Buch war für mich, dass jedes Verbrechen für einen radikalen Riss in der Entwicklung unserer Gesellschaft steht.

Herr Hültner, Sie verlassen aber auch Bayern und gucken über die Grenze nach Frankreich, und haben das Buch „Der Hüter der köstlichen Dinge“ geschrieben. Welche Köstlichkeiten erwarten denn Leser?
Der Titel ist einem Antikriegsgedicht von Jules Romains entnommen. Er beschreibt ein lyrisches Ich, das nicht bereit ist, den Wahnsinn des Krieges zu akzeptieren und fordert, das Leben mit all seiner Großartigkeit und seinen Köstlichkeiten zu bewahren. Es ist eine Geschichte aus einer Zeit, in der Deutsche in den 1940er Jahren in der Situation waren fliehen zu müssen und im Ausland Asyl suchten und fanden. Sie wurden von Bauern in einer ärmlichen Gegend, in Südfrankreich, über Jahre hinweg versteckt, obwohl dies für die Bauern lebensgefährlich war. Egal welchen Flüchtling sie versteckt hielten, ob Jude, Deserteur oder politisch Oppositioneller, sie riskierten damit die Vernichtung ihrer Existenz, die Deportation und Tod im Konzentrationslager. Ich habe von diesen Geschehnissen in Südfrankreich gehört, und sie haben mich sehr berührt. Auch, weil sie einen Aspekt der deutsch-französischen und europäischen Geschichte beleuchten, der kaum bekannt ist. Diese Geschichten sind für mich die wahre Substanz des vereinigten Europa.

Wie wirkt dieses Buch „Der Hüter der köstlichen Dinge“ auf Sie im Nachhinein nach dem Erscheinen? Können Sie neben sich stehen und es als Leser betrachten?
Natürlich. Es gibt immer nur eine kurze Phase in den Monaten nach Beendigung und Abgabe des Manuskripts, wo man sich unsicher, der eigenen Arbeit noch zu nah ist, um sie wirklich beurteilen zu können. Wenn ich aber meine Bücher nach einer bestimmten Zeit aufschlage, ist es grade dieser Roman, der mich immer wieder berührt. Außerdem - wie sich zeigt, ist er aktueller denn je.

Schätzen Sie den Schriftsteller Oskar Maria Graf?
Ja, sehr. „Unruhe um einen Friedfertigen“ oder „Das Leben meiner Mutter“ sind große Weltliteratur. Ich mag Grafs Bücher, sie sind authentisch, er schreibt schonungslos und ohne Pathos über sich und seine Zeit. Es ist jedoch eher seine Erzählhaltung, sein Blick auf das Leben, das mich bei ihm berührt. Mindestens so nahe ist mir aber auch Lena Christ. Ich muss sagen, dass für das, wie ich schreibe, wie ich meine Geschichten dramaturgisch gestalte, moderne Autoren eine ebenso große Bedeutung hatten. Unter vielen möchte ich da nur Charles Williams, James M. Cain und Tony Hillerman nennen. Und was dem Umgang mit Sprache betrifft, so hat mich Carl Amery nachhaltig beeindruckt.

Herr Hültner, suchen Sie noch Zeitzeugen?

Natürlich. Ich bin immer dankbar und neugierig auf Geschichten. Soviel ist noch verborgen, droht in Vergessenheit zu geraten. Ich bin übrigens nicht nur neugierig auf Vergangenes, sondern auch auf Geschichten aus dem Jetzt. Wir sind ja Teil dessen, was bald als 'Geschichte' bezeichnet werden wird …

Die Leserinnen und Leser der Münchner Stadtbibliotheken und wir von Büchern & mehr freuen uns auf viele weitere und spannende Romane von Ihnen. Wir danken für das Gespräch.



©Steffi.M.Black 2015 (Text)
©Peter v.Felbert.2015(Bild)