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Gespräche



 08.10.2014 - Egon Günther - Dichter, Maler und Übersetzer 



Egon Günther

Egon Günther
ist Dichter, Maler und Übersetzer
Beim Stichwort „Enzian“ denkt man an Naturschutz oder an Enzianschnaps. Das Buch „Bayerischttps://buecher-und-mehr.org/bum_php/bum_redaktion.php?l=39&aktion=2&news_id_alle=154&ko=50&news_jahr_los=2014&news_jahr_los3=2014&ken=gsphe Enziane“ sticht mit einem stark plakativen Bucheinschlag heraus.


Zu sehen sind Berge, auf deren Spitze kein Gipfelkreuz ruft, sondern da stehen Menschen und schwingen eine rote Fahne. Zu Füßen der Berge blühen blaue Enziane. Was erwartet uns diesem in diesem Buch?
Es ist ein Heimatbuch mit dem Ansatz zu einer anderen Geschichtsschreibung der letzten 300 Jahre in Bayern. In diesem Buch ist über Verweigerer, Revolutionäre, Flüchtlinge zu lesen. Auch über die Berge als Rückzugsgebiet, Wilderer und Einödbauern, die sich gegen Hitler ausgesprochen haben.

Die sind alle in diesem Buch versammelt?
Sicher, das Buch ist aber unvollständig, es fehlt noch viel. Es ließe sich mehr zwischen zwei Buchdeckel packen.

Warum haben sie es nicht getan?

Man verbringt viel Zeit beim Recherchieren auf Reisen zu den Schauplätzen, beim Gang in Archive und Bibliotheken, und letztere sind manchmal, eingedenk der Odysseen, die etliche bayerische Exilanten während des NS machen mussten, ziemlich weit weg, etwa in Moskau oder gar in Mexiko. Mit anderen Worten: Der Aufwand ist immens. Aber ich sammle weiterhin Material, beispielsweise über Deserteure – für ein neues Buch.

Was ist ein „Watschenbaum“. Ein bayerisches Idiom?
Ja, ein bayerisch–österreichisches. Der Watschenbaum ist eine Warnung. Meistens, oft bei Kindern, wird gesagt: Pass auf, dass der Watschenbaum nicht umfällt. Das heißt, die Ohrfeige ist nicht weit.

Ihr letztes Buch hat den Titel „Der Watschenbaum“
Wie ist dieses Buch entstanden?

Ein Freund sagte mir, dass Dichter nicht in der Lage sind, Prosa zu schreiben. Es war zwar im Scherz gemeint, doch angetrieben von dieser Meinung sagte ich mir, gut, dann schreib’ ich mal einen Roman. Und dachte, man müsste mal was schreiben, was dem Versuch von James Joyce nahe kommt, seine Jugend und Kindheit zu beschreiben - das Jugendbildnis des Dichters - (Egon Günther lacht). Und der Ort, an dem sich die Handlung abspielt, ist dann nicht Irland, sondern ein Münchner Vorort.

In diesem Buch ist das München der frühen 60iger Jahre zu entdecken. Das Buch ist Ihnen gut gelungen. Ein poetischer Roman über eine Nachkriegskindheit, und sehr schön zu lesen. Hat der Freund nach diesem Roman seine Meinung über den Dichter geändert?
Für Dichter ist es schwer, die Romanform zu achten, denn es geht immer darum, einen anderen Zugang zur Sprache zu finden und mit der Sprache etwas anzustellen, was drüber hinausgeht und sich nicht in die Romanform zwängen lässt.

Was, Dichter sind so streng zu sich?

Im Archiv der Monacensia findet man auf der Suche nach Egon Günther einen Eintrag über „Die Rebellin in München“.
Die Rebellin in München, Moskau und Berlin ist die Autobiographie von Hilde Kramer, die die schönsten Jahre ihrer Kindheit in Oberbayern, in Riederau am Ammersee verbracht hat. Ich wohne auch in Riederau und habe über seltsame Wege von dieser Frau gehört. Das Leben von Hilde Kramer faszinierte mich, so begab ich mich auf Spurensuche. Hilde Kramer war 1919 als blutjunge Kommunistin Sekretärin in der Räteregierung von Leviné, einem Nachfolger des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Das Buch ist ein Zeitzeugnis der Revolutionszeit und der 1920iger Jahre.

Warum wohnen Sie am Ammersee?

In Riederau kann ich dem Schreiben und anderen künstlerischen Tätigkeiten nachgehen, ohne immer Geld verdienen zu müssen. Dort kann ich billiger leben, als in der Stadt. Und um Übersetzungen machen zu können, kommt mir die ländliche Ruhe sehr entgegen.

Sie sind auch Maler. Ein malender Schriftsteller?

Meine eigentliche Sozialisation fängt in den 60iger Jahren an, und das heißt: Keine Kategorie, keine Spezialisierung – jeder kann alles machen.

Das ist ein großer Anspruch. Ist das wirklich durchzuhalten, denn eine Leidenschaft muss sich doch durchsetzen?
o.k, nach Jahren kann man zurückblicken und kann sagen: gut, als Dichter hab’ ich was gemacht, das nicht schlecht ist, als Maler warst du so lala und sonst hast'e auch was geleistet.

Aber wo liegt nun Ihre Leidenschaft?

Ein Dichter ist für mich jemand, der nicht unbedingt ätzende Zeilen schreiben muss. Dichter zu sein, ist ein Lebensgefühl. Wichtig ist, man macht Sachen so, dass man damit zufrieden ist und dass sie auch anderen auf irgendeine Weise nutzen. Ich weiß, dieser Satz ist eitel (Egon Günther lacht wieder).

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Man sollte den Tag eigentlich frisch anfangen. Ich muss nicht jeden Tag was schreiben, und wenn ich in der Früh’ gut aufstehen könnte, wäre ich sicher da am produktivsten. Ich lasse mich von der Inspiration treiben und verschiebe diese auf den Abend.

Gab es literarische Highlights in Ihrer Kindheit?
Ich habe sehr gerne „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ gelesen, und war sehr angetan von „Chingachgook, die große Schlange“. Überhaupt, von den Lederstrumpf-Geschichten von J.F. Cooper konnte ich nicht genug kriegen. Meine Erinnerung sagt mir, dass meine damaligen Lieblingsbücher wohl in kindgerechter Form geschrieben waren.

Um weitere Bücher zu finden, haben Sie da auch die Stadtbibliotheken benutzt?
Klar, für die Meindlstrasse hatte ich sogar einen Bibliotheksausweis. Da bin ich immer hin gepilgert und habe erst mal alles gelesen, was mir interessant erschien. Für mich bot die Stadtbibliothek ein Entkommen aus meinem Kinderalltag, und ich konnte dort wunderbar durch Tibet ziehen, auf dem Mississippi schippern oder andere Abenteuer erleben.

Sind Sie den Stadtbibliotheken treu geblieben?
Solange ich in der Stadt lebte ja, als ich aber auf’s Land gezogen bin, habe ich meinen Ausweis zurück gegeben.

Für wen schreiben Sie? Für sich, oder an welche Leser denken Sie?
Für Leute, die einen anderen Zugang zur Literatur suchen.

Herr Günther,
wir LeserInnen von Bücher & mehr und Benutzer finden es toll, dass das literarische Angebot der Stadtbibliotheken auch durch Ihre Bücher so vielfältig ist, und wir danken Ihnen für das Gespräch
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©Steffi M.Black 2014(Text u.Bild)