Gespräche
22.08.2013 - Das Gespräch mit Joseph von Westphalen
Joseph von Westphalen
Joseph von Westphalen
Autor vieler Romane und Essays, Satiriker. J.v.W. ist ein scharfzüngiger, kritischer, sympathischer Schriftsteller. Er ist ein Provokateur, seine direkte und freche Sprache macht auf seine Publikationen neugierig.
Wie kam es dazu, dass Sie sich vor 10 Jahren für den Erhalt der Stadtteilbibliotheken eingesetzt haben?
Die Frage ist ja eigentlich fast beleidigend, denn jeder halbwegs vernünftige Mensch sollte sich für den Erhalt der Stadtbibliotheken einsetzen, ein Schriftsteller sowieso, schon aus Eigennutz. Damals war es so, dass ich die Stadtbibliothek in der Nähe vom Romanplatz in Nymphenburg häufig nutzte. Ich brauchte für meine Romane oft Kunst- und Bildbände und Reiseberichte aus Ländern, in denen ich noch nicht war. Mit Hilfe der Stadtteilbibliothek bin ich per Buch in ferne Länder gereist - so wie einst Karl May. Diese Stadtbücherei sollte geschlossen werden. Da musste ich natürlich protestieren.
Mit welchen Beiträgen haben Sie das „Bücherbegehren“ damals unterstützt?
Das war wohl eine Glosse über das Thema, die ich auf dem Marienplatz vorgelesen habe, 2003 muss das gewesen sein, im März, es war saukalt an diesem Tag.
Wie empfinden Sie die Münchner Stadtbibliotheken, und haben Sie etwas besonderes in Erinnerung behalten?
Neben den Wonnen, quasi gratis in ausgeliehenen Büchern blättern zu können, erinnere ich mich daran, dass ich allzu oft vergessen habe, diese Bücher rechtzeitig zurückzugeben. Das wurde manchmal richtig teuer. Okay, das Geld kam ja der Stadtbibliothek zu Gute. Leider ist die Leib-und-Magen-Filiale bei mir um die Ecke aufgelöst worden. Das war noch vor dem Internet-Boom. Heute kann man seine Karl-May-Recherchen ja leicht mit Hilfe von Google, Youtube und Wikipedia betreiben.
Welche Rolle spielten/spielen die Stadtbibliotheken in Ihrem Leben?
Sie erinnern mich, dass man sich nicht allzu sehr auf das Digitale verlegen und verlassen sollte. Dieses Gespräch regt mich wieder an, in die Stadtbibliothek zu gehen. Das Internet hindert einen allzu oft, reale Bücherplätze aufzusuchen.
Wie war Ihr Weg zum Lesen?
Schulzeit. Gymnasium. Ich war in einem Internat. Da gab es einen sogenannten Aufenthaltsraum, in dem man sich Tee kochen konnte. In den Regalen keine Schulbücher, sondern zerlesene rororo- und Fischer-Taschenbücher. Das waren die ersten Leseerlebnisse. Komischerweise war es eine Auswahl von Aristoteles-Texten, die mir die Augen öffnete - oder mir das Gefühl von geöffneten Augen gab. Daneben waren da Bücher von Knut Hamsun und sogar dem wüsten Henry Miller. Knut Hamsun hat mir damals total zugesagt. Die Mischung aus Wald und Nihilismus und sich von zickigen Frauen ausgetrickst zu fühlen, kam meiner Pubertät entgegen. Henry Miller las übrigens auch gern Hamsun.
Gab es weitere literarische Highlights?
Daneben habe ich die Russen verschlungen, das übliche, Dostojewski vor allem. Später Joseph Roth.
Herrn von Westphalen, das von Ihnen geschriebene Buch "Sinecure" hat zum Inhalt das Gedicht eines gewissen, von Ihnen erfundenen Poeten David Elphinstone, und wurde 1989 im Klaus Renner Verlag veröffentlicht. Es ist ein sehr schönes Buch. Sorgfältig mit Lesebändchen und schwarzem Vorsatzpapier gedruckt und gebunden. Wem gehören die Schuhe auf dem Cover?
Das sind meine Schuhe, die ich immer noch habe. Tolle Schuhe. Ich hatte sie zwanzig Jahre zuvor in Italien gekauft und konnte mich nicht von ihnen trennen. Sie waren zerschlissen und schon das dritte Mal besohlt. Besohlt man heute noch Schuhe? Schuhe besohlen ist so ähnlich, wie Bücher mit einem Schutzpapier einbinden. Die Schuhe waren jedenfalls ziemlich malerisch, und mein Freund, der Maler Franz Meckel, hat sich den Anblick nicht entgehen lassen und sie porträtiert.
"Sinecure" von David Elphinstone (der Titel spricht Bände) wurde 2008 nachgedruckt und in Landsdorf, einem Schloss in Mecklenburg-Vorpommern in eine Kunst-Installation umgewandelt. Können wir Leser vermuten, das David Elphinstone ein Alter Ego von Joseph von Westphalen ist?
Damals mehr als heute. Wir haben uns ein bisschen auseinander gelebt. Damals war er innerlich zu vielleicht 90 Prozent mein Ego, äußerlich aber nicht. Elphinstone war ja halber Inder. Ich habe mein Wunschäußeres dargelegt. Ich wäre gern ein dunkler Typ wie Elphinstone gewesen.
Man könnte meinen, Sie ziehen den germanistischen Wissenschaftsbetrieb in dem Buch "Sinecure" durch den Kakao?
Das stimmt. Weil ich an der Uni gelitten hatte, musste ich mich rächen. Ich war ein schlechter Student. Zwar habe ich meine Doktorarbeit selbst geschrieben, aber schlecht. Ich hatte eine Idee und eine Theorie für diese Arbeit, aber es ist oder war keine Forschungsarbeit. Eigentlich ist es ein Essay. Dass da mehr Wissen zusammengetragen werden muss, habe ich erst später kapiert. Heute würde ich es besser machen. Ich hatte damals keine Lust, geisteswissenschaftlich zu schreiben. Es hat mir mehr Spaß gemacht, das aufgeblasene geisteswissenschaftliche Schreiben mit "Sinecure" zu parodieren.
Ihre Doktorarbeit hat scheiternde Schriftsteller zum Thema. Muss doch super zu lesen sein, ist die auch für ein breites Publikum verlegt worden?
Nein, es gibt nur die Pflichtexemplare. Zum Glück. Sie ist nicht super zu lesen. 10 Seiten taugen vielleicht etwas. Die anderen 190 Seiten sind Schlauschwätzerei. Ich sollte mit gutem Beispiel vorangehen und einen Antrag auf Aberkennung des Doktortitels stellen. Mal nicht wegen Plagiat sondern wegen Mangel an Substanz.
Harry Freiherr von Duckwitz. Das ist die Hauptfigur aus Ihrem Roman "Im diplomatischen Dienst". Was macht der Protagonist Harry heute?
Ja, das ist die große Frage. Keine Ahnung, ob und welche Probleme er als Altlinker mit dem Älterwerden hat, ob sein Lebensmodell der Polygamie gescheitert ist, wie er heute zurecht kommt. Wir haben uns ein bisschen auseinander gelebt. Ich werde mal bei ihm nachfragen.
Gab es beim Erscheinen des Buches "Im Diplomatischen Dienst" von den Botschaften oder von Botschaftsleuten Proteste? Duckwitz attackiert das hehre Diplomatenwesen, seine Ironie und sein freches Verhalten ist nicht das Benehmen, was man von einem Diplomaten erwartet.
Im Gegenteil. Ich bekam nach Erscheinen des Buches viel Post von Diplomatenfrauen, die das Buch für Ihre Männer signiert haben wollten. Ich bin sogar von der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amtes eingeladen worden, einen Vortrag über Duckwitz zu halten, und bei der Gelegenheit hat sich herausgestellt, dass es da viele Fans von Duckwitz gab. Die Bibliothek des Auswärtigen Amtes hat gleich fünf Exemplare des Romans eingekauft. Den Auszubildenden wurde wärmstens empfohlen, das Buch zu lesen. Die Diplomaten, das muss ich im nachhinein sagen, hatte ich vernagelter dargestellt, als sie sind. Die waren ironiefähiger, als ich gedacht hatte. Keiner von Ihnen hat mir was übelgenommen. Beschwert haben sich nur Kirchenleute und Richter. Auch Siemens hat mir meine Verspottungen nicht übel genommen. Im Gegenteil. Die Industriebeschimpfungen in den Duckwitz-Romanen waren der Anlass, mich zu Vorträgen einzuladen. Vor Revisoren. Die sollten lernen, mit Industrie-Kritik umzugehen.
In Ihren Büchern kommen immer wieder Liebe und viele Frauen vor. Aus was ziehen sie so viel Leidenschaft, um über Liebe zuschreiben?
Hmmmmm... aus der ziemlich gewöhnlichen, vielleicht sogar ordinären Frage: wie kriegt man das auf die Reihe, wenn man sich verliebt, obwohl man verheiratet ist und Kinder hat. Was macht man dann? Um die Frage durchzuspielen, sind Romane sehr nützlich. Meine Bücher wurden von Lesern in ähnlichen Klemmen geradezu als Vademecum benutzt, auch von Verlegern.
Was ist aus dem Briefwechsel mit Monika Maron geworden, der 1988 allwöchentlich im "Zeitmagazin" erschien?
Nichts ist geblieben. Dieser "westöstliche" Briefwechsel hat seinerzeit viel Aufmerksamkeit bekommen. Er war von Anfang an verfahren. Ohne dass wir es selbst wussten, war das ein Beweis für die Verschiedenheit von DDR und BRD. Der Briefwechsel erschien, als er beendet war, in Buchform. Erfolg hatte das Buch aber nicht. Merkwürdig, dabei passierte das alles kurz vor der Wende 1989. Kaum aber war die Mauer offen, interessierte sich kein Mensch mehr für die Zeit, in der Deutschland geteilt war. Das Buch ist rasch verramscht worden.
Sie haben mal Fortsetzungsromane geschrieben, warum geht das nicht weiter?
Weiß ich gar nicht mehr.
Das war in einer Zeitschrift mit anderen zusammen.
Ach ja, völlig belanglos. Da haben wir, Feridun Zaimoglu u.a. den Roman "Im Schwebebecken" geschrieben. So eine typische Idee von einer Zeitschriftenredaktion. Literarisch ergiebig ist das weniger. Aber es ist ein prima Gesellschaftsspiel. Der erste hat es noch leicht. Wenn man eine spätere Folge schreibt, muss man höllisch aufpassen, keine Handlungsfehler zu machen.
Früher gab es aber doch laufend Fortsetzungsromane, man kaufte jede Woche oder jeden Monat eine Zeitschrift, meistens war da immer einer drin.
Ja, ein Fortsetzungsroman von einem einzelnen Autor, das ist was anderes. Das ist für den Autor ein heilsamer Zwang, das diszipliniert das Schreiben, da gibt es kein zurück in der Handlung, da kann man nichts ungeschehen machen, das ist schon fast wie im wirklichen Leben. Wenn mir eine Zeitung anböte, einen Fortsetzungsroman zu schreiben, würde ich sofort zusagen.
Irgendwann sprachen Sie vom Wegwerf-Buch – sind Sie heute immer noch dafür?
Nein. Das Thema ist viel zu ernst und quälend, weil man ja oft genug wirklich gezwungen ist, Bücher wegzuwerfen, wenn man zu viele hat. Es spricht keiner darüber, weder Verlage noch sonstige Besitzer von zu großen Buchbeständen. Was geschieht mit Büchern, die kein Antiquariat und kein Leser haben will? Man wünscht sich nichts sehnlicher als einen Abnehmer. Wenn man schon selbst dermaleinst zu Asche wird, sollen wenigstens die Bücher überleben. Das Wegwerfbuch, das war mal so kokett dahingeredet. Die Größe, "schmeißt mich weg, wenn ihr mich gelesen habt" zu sagen, habe ich nicht. Wer will schon entsorgt werden. Tut weh, als Schriftsteller vergessen zu werden und irgendwann nutzlos als Altpapier auf dem Müll zu landen. Wenn man schon nicht mehr gelesen wird, möchte man wenigstens noch ein Weilchen in ein paar Regalen stehen.
Sie haben keine Kinderbücher geschrieben, warum nicht?
Doch eines. Michel Krüger vom Hanser Verlag wollte ein Kinderbuch von mir. Ich wollte nicht. Alle schriftstellernden Väter schreiben Kinderbücher. War mir zu üblich. Krüger überredete mich mit dem Argument, Kinderbücher seien Longseller, also die beste Vorsorge für einen darbenden Autor im Alter. Als mehr oder weniger Altlinker habe ich dann ein Buch für aufmüpfige Kinder von Altlinken geschrieben, die sich über ihre Eltern hinwegsetzen. Also, nicht die übliche verbitterte Kritik an den Idealen der verlogenen Linken, sondern lustvolle Ironisierung. Eigentlich wird in dem Buch beschrieben, wie flotte Kinder vermeintlich linker Eltern ihre Eltern links überholen können. Solche Kinder gibt es, aber leider zu wenig, daher wurde das Buch "Wie man seine Eltern erzieht" zu wenig gekauft. Es ist ganz edel im Hanser Verlag erschienen, ziemlich verstiegen illustriert von Johan Devrome. Der Erziehungsratgeber ist unter anderem auch ins Chinesische übersetzt worden, und hat mir dann so gar eine Einladung nach China verschafft, nach Shanghai. Die Chinesen müssen offenbar Spaß daran gehabt haben. Oder sie haben den Witz daran nicht verstanden. Das glaube ich eher.
Im Börsenblatt des deutschen Buchhandels ist Ende letzten Jahres über Ihr literarisches Leben zu lesen, dass Sie in Ihren nächsten Romanen die Erotik klein halten wollen und die Schlafzimmertüren zu. Sind Sie sich da sicher? Zumindest habe ich das vor. Ganz sicher bei dem Roman, den ich gerade schreibe, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt und in dem mein Ururgroßvater eine zentrale Rolle spielt. Ich kann und will mir nicht vorstellen, wie der Alte im Schlafzimmer war. Das wird kein großes Thema sein.
Wie sehen ihre Recherchen aus?
Den Recherchen geht es besser als dem Roman. Klar: spannende Sachen lesen ist leichter und geht schneller, als spannende Sachen schreiben. Ich verliere mich in den Recherchen, mit Wollust. Ich drücke mich vor dem Fertigschreiben, weil ich dann kaum noch eine Motivation haben werde, tolle Texte aus dem 19. Jahrhundert zu lesen. Allein der Briefwechsel von meinem erzkonservativen Ururgroßvater Westphalen (d.Red. Graf Clemens von) mit dem revolutionären Ferdinand Lassalle - köstlich. Und wie sich Marx und Engels über den Genossen Lassalle das Maul zerreißen: amüsanter und intelligenter als die angesagteste amerikanische Intellektuellen-Fernsehserie. Die Bücher, die ich für diese Recherchen benutze, finde ich allerdings in keiner Stadtbücherei. Da muss ich schon das ZVAB bemühen, oder in die StaBi gehen. Wobei die gute StaBi, also die Bayerische Staatsbibliothek in München, viele ihrer Schätze digitalisiert ins Netz gestellt und damit jedem Interessenten gratis zugänglich gemacht hat. Wenn ich so eine völlig unbekannte 300-Seiten-Streitschrift von 1848 als PDF-Datei herunterladen, auf meinen Kindle einspielen und beim Baden am Ufer des Starnberger Sees lesen kann, dann bin ich immer sehr versöhnt mit den modernen Zeiten und der Gegenwart.
Kommen wir zurück zu den Stadtbibliotheken, die einen kulturellen Auftrag haben, und der Volkskultur bez. der Bildung dienen. Sie werden als selbstverständlich hingenommen. Was sollte geschehen, um auf dieses Angebot hinzuweisen und es mehr in den Mittelpunkt zu rücken?
Im Grunde genommen bräuchte man einen Mäzen, der eine Werbeaktion finanziert, mit Spots von jungen Leuten, die von ihrem Smartphone samt seinen hundert Apps die Nase endgültig voll haben und das Ding in den Sondermüllcontainer werfen. Dann folgen sie einer Eingebung, fischen sich aus dem danebenstehenden Altpapiercontainer ein Buch und fangen ganz begeistert zu lesen an. Weil sie plötzlich kapieren, dass das mehr bringt,als auf dem Handy E-Mails oder SMS zu checken.
Klingt gut. Und wie weiter?
Wenn der Spot nicht nur fürs Bücherlesen, sondern für Stadtbüchereien, und nicht nur für deren Benutzung durch Rentner, sondern auch durch die Jugend Reklame machen sollte, müssen das attraktive Leute sein. Ich stelle mir vor: so ein charmanter Bursche lehnt da endlich smartphonefrei ganz versunken in der Sonne am Container und liest. Muss ja nicht Goethes Werther sein. Kann ja Musils Mann ohne Eigenschaften sein, der ihn unvermittelt fasziniert. Ein vergammeltes Exemplar aus einer Haushaltsauflösung. Ein ebenso charmantes Mädchen beobachtet lächelnd den Leser. Und so wie früher in der Zigarettenwerbung dem Raucher-Männchen geraten wurde, lieber zur HB zu greifen, anstatt sich zu echauffieren, so tritt jetzt das junge hübsche Mädchen auf den jungen hübschen Mann zu, schnuppert an dem Buch, verzieht die Miene und sagt: "Muffelt kräftig, geh lieber in die Stadtbücherei!"
Herr von Westphalen, Sie sind ein Flaneur. Flaneure sind neugierig. Der Flaneur ist auf der Suche nach Abenteuern, Begegnungen, gar Entdeckungen. Man kommt Ihrer Ironie und ihren Rundumschlägen nicht aus. Die wollen wir Leser von Ihnen haben, und wir sind dankbar, dass Sie unbeirrt so weitermachen.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
©Steffi M.Black 2013(Text u.Bild)