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Gespräche



 01.11.2016 - Dagmar Leupold -Autorin 



Dr. Dagmar Leupold

Dagmar Leupold ist seit 30 Jahren Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Italienschen. Die Liste ihrer Romane ist lang. In dem Buch „Die Helligkeit der Nacht“ bringt Dagmar Leupold den Dichter Heinrich von Kleist und Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Dialog zusammen. Seit Herbst 2016 ist ihr neuester Roman „Die Witwen“ im Jung&Jung Verlag erschienen. Für ihre Werke hat Dagmar Leupold viele Auszeichnungen erhalten, u.a. den Förderpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die Liliencron-Poetik-Dozentur an der Universität Kiel, den Tukan-Preis und viele, viele mehr.


Frau Leupold, Sie kommen gerade aus St. Petersburg zurück. Für einen Monat waren Sie dort als Writer-in-residence. Was macht man da?

Es ist eine Gelegenheit zur Begegnung mit russischen Kolleginnen und Kollegen, mit vielen Autoren, aber auch mit den nicht minder wichtigen Vermittlern, die die Verlagskontakte herstellen, oder aber auch um Übersetzer zu treffen. Es waren vier gesellige Wochen mit einem dichten Programm. Zum Beispiel musste ich einen Workshop abhalten und einen Übersetzerkurs betreuen. Wenn Sie etwas über diese Zeit lesen möchten, gibt es dazu einen Blog:
https://leuchttuermeblog.wordpress.com/ueber-dagmar-leupold/

Wer lädt denn dazu ein?
Dazu lädt das Goethe-Institut ein. Das Goethe-Institut hat ein Programm, das heißt „Literarische Leuchttürme“. Deutschsprachige Gegenwartsautoren werden so in Russland, Usbekistan, der Ukraine, Belarus, Kasachstan und Georgien bekannter gemacht.

War das mit besonderen Erwartungen an Sie verbunden?
Es waren keine spezifischen Auflagen formuliert. Mir war bewusst, dass die Einladenden erwarten, dass ich mich in der Zeit, wo ich im Land bin, für sie und ihr Gastland interessiere, und auch das Goethe-Institut repräsentiere. Für mich kam die Reise in einem günstigen Augenblick, denn ich hatte gerade ein Buch beendet und noch kein neues Schreibprojekt angefangen.

Können Sie russisch sprechen?
Etwas schon. Ich hatte mal einen Russisch-Kurs in Florenz gemacht. Das ist alles sehr lange her, und die Spuren sind verschwunden, aber mit dem Lesen geht es.

Frau Leupold, gehen Sie unbefangen ans Schreiben ran? Wie planen Sie einen neuen Roman?
Ich würde von mir nicht sagen, dass ich unbefangen ans Schreiben rangehe. Ich gehe nachdenklich und überlegt an ein neues Buch heran. Die ersten Überlegungen gelten ganz stark der Form, und die muss ich zuerst gefunden haben. Die Form ist sehr an der Deutungsstiftung beteiligt.

Sie sind in vielen Bereichen engagiert und Sie reisen viel. Geht dies alles in Ihre Romane mit ein?

Alle Erfahrungen sind Roman-tauglich. Ob das Lektüren, Reiseerfahrungen oder die ganz alltäglichen Erfahrungen, alle sind für mich ein reicher Erfahrungsschatz. Alles im Alltag ist literaturkompatibel.

In dem Roman „Die Witwen“, erschienen im Jung&Jung Verlag, machen Sie es ganz schön spannend. Es sind vier Frauen, die sich eine Idee ausdenken, um ihrem Leben etwas Gelebtes zu geben. Haben Sie solche Frauen aus der Nähe beobachten können?
Ja, das konnte ich, wobei das nicht parallel zu den Figuren im Roman lief. Ebenso konnte ich sie auch an mir beobachten, oder in Erzählungen.

Die Philosophie über Spülmaschinen in „Die Witwen“ macht nachdenklich. Was muss einem passieren, um über Spülmaschinen zu philosophieren?
Ich finde, das ist ein sehr poetischer Moment. Penny ist ein sehr verträumter Charakter, was mit ihrer Verfassung des Wartens zu tun hat. Spülmaschinen sind vielleicht banal, aber als ich das leise Klimpern der Spülmaschine gehört habe, dachte ich daran, dass das eine eigene Schönheit ist. Poetisches ist nicht nur an Bildungsgüter geknüpft, sondern hat auch einen Zugang auf den eigenen Alltag, und die Küche ist ein lebendiger Raum.

Die Freundinnen aus den „Witwen“ haben einen Amazonen-Stammtisch. Wie sieht es bei der Autorin aus? Haben Sie auch einen Autorinnen-Stammtisch?

Leider nein. Es gibt aber schöne Treffen von Autorinnen. So dreimal im Jahr organisiert das Kulturreferat ein Treffen, das gemeinsam mit den männlichen Autoren stattfindet. Ein festes Treffen, wo man zum Beispiel am ersten des Monats Autorinnen an einem festen Ort, im Lokal, antreffen könnte, gibt nicht.

Frau Leupold, stimmt es, dass der französische Schriftsteller und Surrealist Raymond Queneau aus 1950er Jahren, Ihr Lieblingsschriftsteller ist?
Nein, das nicht. Ich lese zwar gerne Queneau, der Titel „ Zazie in der Metro“ ist vergnüglich, aber mein Lieblingsschriftsteller ist er nicht. Das Buch „Stilübungen“ von ihm mit seinem spielerischen Ansatz ist ein wunderbares Buch für Studenten, das ich oft in meinen Uni-Kursen einbringe. Doch zu meinen Lieblingsschriftstellern zählen u.a. Robert Musil, Heinrich von Kleist.

Verraten Sie uns, über welches Thema Sie promoviert haben?

Frau Leupold lacht – wenn ich das erzähle, schauen mich immer alle verwundert an. Ich habe über das „Oxymoron“ promoviert. Das ist eine rethorische Figur, in der ein unauflösbarer Widerspruch ausgedrückt wird. Zum Beispiel: eisiges Feuer oder brennender Schnee. Also eine Redefigur, die gerne in der Renaissance und im Barock benutzt wurde. Das zieht sich aber bis zur heutigen Literatur hin.

An der Uni Tübingen leiten Sie das Studio „Literatur und Theater“. Was ist dort stärker – die Literatur oder das Theater?
Es ist gleich gewichtet. Ich persönlich biete wesentlich mehr Literatur an. Ich bin keine erfahrene Theaterautorin. Ich habe zwar mit Studenten in Tübingen zwei Stücke geschrieben, die auch am Landestheater aufgeführt wurden. Das hatte Spaß gemacht, aber das ging nur gut mit der Unterstützung einer Dramaturgin.

Wie finden Sie Poeten-Feste?
Wenn sie gut organisiert und konzeptionell gut sind, finde ich sie toll. Oft ist es leider nur ein kesselbuntes Treiben. Grundsätzlich sind diese Initativen sehr begrüßenswert, und wenn dadurch neue Anstöße zum Lesen gegeben werden, ist ein gutes Ziel.

Frau Leupold, Sie haben ein außergewöhnliches Buch geschrieben „Die Helligkeit der Nacht. Ein Journal“, erschienen im C.H.Beck Verlag. Darin sind Heinrich von Kleist und Ulrike Meinhof im Dialog und teilen ein Geheimnis. Warum haben Sie gerade Ulrike Meinhof ausgesucht?

Ich würde nicht sagen, dass Kleist und Meinhof ein Geheimnis teilen, sondern sie teilen einen dunklen Punkt – die Gewalt. Dieses Buch ist beim Nachdenken über Gewalt entstanden, und es kamen ein paar Zufälle zusammen. Eine wichtige Briefpartnerin von Heinrich von Kleist war seine Halbschwester Ulrike, und die andere seine Großtante Marie. Ulrike Meinhof heißt mit vollem Namen Ulrike Marie Meinhof. Dazu hat mich verblüfft, dass beider Gehirn obduziert wurde. Man sagte, da muss was pathologisch sein. Aber am interessantesten fand ich, dass Kleist die Flinte hinschmiss, sich aus der Armee entlassen ließ und zur Feder griff. Das war damals ein ungewöhnlicher Schritt. Und Ulrike Meinhof hat die Feder hingeschmissen und zur Waffe gegriffen. Diese Schnittstelle hat mich sehr interessiert.

Sie sind die Leiterin des Literaturfonds. Die Aufgabe stelle ich mir schwierig vor, denn jeder Schriftsteller hat es verdient, finanziell unterstützt zu werden. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie?

Ich war sehr viele Jahre im Literaturfonds, im Kuratorium, doch nicht die Leiterin. Der Literaturfonds ist basisdemokratisch geführt. Das Vorgehen ist so wie in jedem literarischen Verband, dass eine Person ins Kuratorium gesandt wird, die mitdiskutiert, aber keine Stimme hat. AutorInnen, Verlage, oder Übersetzungsprojekte können sich bewerben. Das Kuratorium entscheidet über die Anträge.

Welches innere Bedürfnis hat Sie zum Schreiben gebracht und zur Schriftstellerin gemacht?
Ich habe ein inneres Bedürfnis, zu gestalten. Mein Material ist die Sprache. Tatsächlich ist es für mich auch etwas extrem Materielles, der Umgang mit Sprache im schönen Sinn. Sofern habe ich dazu einen sinnlichen Zugang. Die Worte haben ein Aussehen, die Typographie ist für mich wichtig. Ich glaube, ich verstehe erst immer dann, oder verstehe es besser, wenn dieser Gestaltungsprozess in eine ästhetische Realität im Medium der Sprache stattgefunden hat.

Ihr Arbeitstag ist bestimmt streng diszipliniert, womit kann man Sie vom Schreibtisch weglocken?
Oh, eigentlich mit sehr vielem. Ich habe keinen spektakulären Arbeitsalltag mit Nachtsitzungen. Ich habe, vielleicht auch meiner Kinder oder der Uni Tübingen wegen, einen ungewöhnlichen Arbeitstag. Wenn ich schreibe, stehe ich morgens um fünf Uhr auf, und schreibe so ein bis zwei Stunden morgens.

Das wäre für mich mitten in der Nacht ...

Alles was man freiwillig macht, hat seine eigene Schönheit. Ich weiss von männlichen Kollegen die Einstellung: wenn ich nicht acht Stunden ungestörte Zeit vor mir habe, fange ich gar nicht erst an. Ich glaube es ist sehr weiblich, in Raumnischen wie in Zeitnischen arbeiten zu können.

Ihre unaufdringliche Mahnung gegen Krieg in „Die Witwen“ ist sicher beabsichtigt. Ich bin sehr froh darum. Doch im Buch „Unter der Hand“ ebenfalls im Jung&Jung Verlag erschienen, gibt es die Orte „Schwarzort und Schwarzgalligkeit“. Warum so düstere Namen?
In „Unter der Hand“ ist ja ein Buch versteckt. Das Versteckte heißt „Schwarzarbeit“. Das ist ein Märchen, da sieht man wieder die Widersprüchlichkeit des Oxymoron. Schwarzarbeit ist tatsächlich das, was ich mache. Wörtlich genommen: mit schwarzer Tinte auf weißem Papier zu arbeiten. Es ist eine spielerische Anspielung. Es bezieht sich auf die Heldin, die keine Steuern zahlt, und es bezieht sich auch auf so etwas wie schwierige Arbeit, Seelenarbeit, um in dunklere Ecken zu schauen. Alles ist natürlich eine Metapher auf unsere Gesellschaft.
Und zu Schwarzort, das ist ein Ort, den es wirklich gibt.

In Ihrem Gedichtband „Die Lust der Frauen auf Seite 13“ gibt es ein Gedicht mit einem Titel 1992. Warum 1992 ?

Vermutlich bezieht sich es auf ein Ereignis in diesem Jahr.

Wann haben Sie Zeit Gedichte zu schreiben?

Seit geraumer Zeit schreibe ich keine Gedichte mehr. Es gibt einen kleinen Zyklus, der im Kloster entstanden ist, als ich Stipendiatin war. Ich lese sehr gerne Lyrik und gehe davon aus, dass ich wieder Lyrik schreiben werde. Wenn ich es jetzt erzwingen würde, würde ich nichts Gutes schreiben.

Im Roman „Eden Plaza“. im C.H.Beck Verlag, beschreiben Sie sensibel zwei Menschen, die durch Zufall zusammen kommen und die sich ihr Leben erzählen. Nähe und Erotik bleiben nicht aus, es knistert. Aus dem Roman entstand ein Kinofilm mit großartigen Schauspielern wie Gesine Cukrowski und Peter Lohmeyer. Der Film ist eine Wucht. Welches Ihrer Bücher wird als nächstes verfilmt?
Gute Frage.

Ist es für Sie wichtig, eine freie Autorin zu sein?
Unbedingt. Für eine festgelegte Autorin bei einem Verlag schreibe ich die falschen Bücher. Ich bin sehr glücklich bei meinem jetzigen Verlag Jung&Jung. Der Verlag gibt mir Zeit, sodass ich nicht mit Tempo Bücher schreiben muss.

Frau Leupold, Sie haben auch eine Fan-Gemeinde, ist die für Sie anstrengend?
Nein. Ich freue mich, wenn ich auf Lesungen Menschen wiedererkenne, oder mir die Leser sagen, dass sie dieses oder alle Bücher von mir gelesen haben. Es gibt keine Ausmaße, die mich beunruhigen würden.

Frau Leupold, viele Ihrer Bücher die in den Münchner Stadtbibliotheken zum Ausleihen sind, konnte ich in diesem Gespräch nicht ansprechen, aber ich hoffe, dass die Leser dieses Interviews auf Sie neugierig werden, so wie ich auch neugierig geworden bin. Ich danke für das Gespräch.


©Steffi.M.Black 2016 (Text)
©Foto Privat-Dagmar Leupold