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Gespräche



 18.02.2016 - Thomas Kraft - Autor u. Literaturkritiker  



Dr. Thomas Kraft

Thomas Kraft ist Schriftsteller, Literaturkritiker, Programmleiter der Münchner Bücherschau und Kulturmanager von Literatur-Festivals.
Im Maro Verlag Augsburg erschienen von Thomas Kraft die Biographie „Cohen“, über Leonard Cohen, der Erzählband „Tomaten aus Tulsa“ und der geheimnisvolle Roman „Alles Tarnung“.


In Ihrem Roman „Alles Tarnung“ beschreiben Sie liebevoll die Stadt Bamberg, ohne sie einmal beim Namen zu nennen. Warum?
Der Text soll sich auch an Leser wenden, die die Stadt nicht kennen. Es ist kein Heimatroman im klassischen Sinn, der nur in einer bestimmten Kulisse funktioniert, wenn auch mit einer klar umrissenen Topographie, die die Stadt wieder erkennbar macht. Genauso wichtig ist das Thema Freundschaft, das in diesem Roman eine zentrale Rolle spielt.

„Alles Tarnung“ passt in das Genre Poetischer Realismus. Was ist aus den Agenten der Subversion - den „provocateurs gentiles“ – aus „Alles Tarnung“ geworden?
Ich versuche soziale, und politische Wirklichkeiten abzubilden. Historisch gesehen, so wie hier mit den Figuren E.T.A. Hoffmann, Ludwig Feuerbach, Hegel, Hans Wollschläger. Aber auch die Milieus der 70/80iger Jahre und die Erzählebene, die in der Gegenwart spielt. Ich beschreibe die Studenten, die universitären Kreise, reflektiere das Verhaltensmuster der handelnden Personen, wenn sie zurückschauen, auf das, was sie damals als politische Äußerung gelebt haben.

In dem Buch kommt der Ort Ebrach vor. Warum ist das für das Buch wichtig?

Ebrach ist ein Ort ganz in der Nähe von Bamberg, an dem sich Historisches zugetragen hat. 1969 gab es dort ein Knast-Camp in der Nähe des Jugendgefängnisses. Die Presse vermeldete es damals als das deutsche Woodstock. In diesem Camp versammelten sich Vorläufer der APO-* und der RAF-*Szene, Musiker und Menschen aus der Region, viele auch aus Berlin. Sie engagierten sich für Justizopfer und protestierten gegen staatliche Repression.

Was kann eine Lesung, was ein Rockkonzert nicht kann?

Ich denke, dass ein Rockkonzert, die Musik überhaupt, Menschen aller Kulturen und Sprachen über die emotionale Ebene leichter erreichen kann. Auf der anderen Seite kann eine Lesung mehr den reflexiven, den intellektuellen Prozess in Gang setzen.

Warum haben Sie sich den Musiker Leonard Cohen ausgesucht, um über ihn eine Biographie zu schreiben? Haben Sie ihn kennengelernt? Sie schreiben so persönlich über ihn.

Nein, ich habe ihn nur in der Distanz zur Bühne kennengelernt. Mich hat weniger interessiert, seine Lebensstationen, Konzertdaten oder Veröffentlichungen zusammen zu tragen, ich wollte vielmehr herausfinden, wie der Mensch Leonard Cohen tickt. Ich wollte herausfinden, wie es einer mit einer derart komplexen Persönlichkeit schafft, über Generationen hinweg so viele Menschen für seine Musik und Texte zu begeistern.

Das ist Ihnen gelungen. Der Maro Verlag Augsburg hat 2014 das Buch „Cohen“ herausgebracht.

Sie schreiben so wunderbare, lakonische Kurzgeschichten. Die eine oder andere Geschichte kann sich doch zu einem Roman entwickeln, oder nicht?

Das ist eine schwierige Frage. Ich habe vor kurzem mit zwei Romanprojekten begonnen. Bei der Recherche für meine Romane kamen mir aber immer wieder Geschichten dazwischen, die sich für Kurzgeschichten eignen. So ist der Erzählband „Tomaten aus Tulsa“ entstanden, die Romane werden folgen.

Haben Sie mal versucht, einen Kriminalroman zu schreiben?

Das habe ich noch nicht versucht, wobei ich denke, dass mein Roman „Alles Tarnung“ Spannungsmomente hat, wenn auch ohne Mord und Ermittler. Ich bin durchaus für Spannung, aber meine Romane werden andere Handlungsstrukturen haben, als es Krimis erfordern.

Sie sind Programmleiter der Münchner Bücherschau. Die Münchner Bücherschau findet alle Jahre statt und ist eine nicht weg zu denkende Einrichtung im Gasteig. Ist sie jährlich nur eine Wiederholung, also Routine für Sie, oder was verändert sich?

(Dr.Thomas Kraft muss herzhaft lachen.)
Das ist keine Routine. Was bleibt, ist zwar der Ort, die Veranstaltungen finden immer im Gasteig statt. Und ich bin auch an einen festen Zeitraum gebunden. Das ist vorgegeben, doch für die Gestaltung des Programms lasse ich mir immer was Neues einfallen. Entweder sind es Länderschwerpunkte, oder Klassiker; oder Krimi-Reihen. Ich versuche; immer wieder Akzente zu schaffen und der Münchner Bücherschau damit ein markantes Profil zu geben. Viele namhafte Autoren waren mittlerweile bei der Bücherschau zu Gast, was wir mit Stolz verzeichnen können.

Ist die Münchner Bücherschau ein Lieblingsengagement von Ihnen?

Auf jeden Fall. Ich mache die Bücherschau seit 16 Jahren mit Leidenschaft und Begeisterung. Mit all ihrer Vielfalt ist die Bücherschau für mich eine besondere Plattform der Literaturvermittlung, die ich sehr schätze.

Sie sind auch die gute Fee von Literaturfestivals zur Talentförderung und Überwindung von Grenzen. Wann kam der Gedanke auf, dies zu organisieren?

Im Dienste der Leseförderung und der Literaturvermittlung bin ich schon lange unterwegs, ob in „Bayern liest e.V“., oder im Schriftstellerverband Bayern, um auch für die freie Autorenexistenz Verbesserungen zu schaffen. In Herrsching habe ich den Kulturverein mitgegründet. Das sind Initiativen, die man mit der Unterstützung des Kultusministeriums, kultureller Träger oder Partner aus der Wirtschaft realisieren konnte. Mit meiner Veranstaltungsagentur versuche ich, immer neue Formate zu schaffen und neue Orte zu erschließen. Im Mai/Juni 2016 wird es das erste Allgäuer Literaturfestival geben. Auch in der Region Bamberg haben wir Anfang des Jahres mit großem Erfolg ein Literaturfestival in die Welt gesetzt. Über die „Literaturbühnen“ der Festivals sollen Leserinnen und Leser erreicht werden, die sonst keinen Zugang zu Literatur-live haben.

Und wann haben Sie den Schritt zum Autor gewagt?

Das Schreiben an sich mache ich schon lange, doch war ich in erster Linie Autor von literaturwissenschaftlichen und literaturkritischen Texten in Buchform, gab Anthologien heraus oder schrieb literaturkritische Texte. Mit der Herausgabe der „Beatstories“ im Blumenbar Verlag, zu denen ich auch einen Text beisteuerte, hat mein literarisches Schreiben begonnen. Das war sozusagen mein spätes Sprungbrett ins eigene literarische Schreiben.

Wie viel von Ihrer Zeit sind Sie Schriftsteller und wieviel Zeit Organisator?

Die Organisation ist der tragende Teil. Da ich noch nie einen Preis oder ein Stipendium erhalten habe, was mir einen gewissen zeitlichen Spielraum ermöglicht hätte, ist das Schreiben nur in meiner knappen Freizeit möglich.

Sie sind auch Vorsitzender des Schriftstellerverbands. Nimmt Sie das Amt stark in Anspruch?

Seit November 2015 nicht mehr. Ich habe dieses Amt 10 Jahre lange gerne getragen, aber nach so einer langen, durchaus intensiven Zeit sollte ein Wechsel her. Im März 2016 wird ein neuer Vorstand gewählt.

Welchem literarischen Thema möchten Sie sich widmen, weil es von der Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt wird?
In meinen Texten geht es nicht nur darum, eine Geschichte zu erzählen, eigentlich will ich auch immer zum Kern der Dinge vordringen. Das heißt, es gibt eigentlich immer eine Art philosophischer Grundierung, die Frage nach letzten Dingen, die bekannt sind als: Liebe, Tod, Sterben, Freundschaft. Wenn man zum Beispiel manche Erzählungen von mir liest, merkt man, dass häufig ein ganz zentrales Thema der Einbruch von Gewalt in vermeintlich stabilen Situationen ist. Wie unsere vermeintlich sichere Situation von einem Moment auf den anderen kippen kann, und all unsere Gewissheiten verloren gehen. Das ist ein Thema, dass mich sehr interessiert. Wenn sich gesellschaftliche Umstände verschärfen, aus welchen Gründen auch immer, verschärfen sich auch die Probleme zwischen den Menschen.

Wie spannend ist es, Ausstellungen über Literaten zu machen, oder organisieren Sie lieber Literaturfestivals?

Das sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Festivals – das ist Lese- und Hörvergnügen quasi live und in Farbe. Da hat man Kontakt zu den Autoren, man freut sich, ihnen zu begegnen, sie auf der Bühne zu erleben, und das Zusammenspiel mit dem Publikum zu beobachten. Literaturausstellungen widmen sich in der Regel Sachthemen oder verstorbenen Autoren. Da ist dann eher eine philologische Vorbereitung notwendig, man arbeitet sich in alle Nuancen eines Werkes ein. Beides hat seinen Reiz. So wie ich mein berufliches Leben organisiert habe, finde ich es schön, dass ich abwechseln kann.

Wie sieht Ihre Beziehung zu dem Schriftsteller Hans Wollschläger aus?

Wollschläger kommt in „Alles Tarnung“ vor. Die Begegnung zwischen Hans Wollschläger und mir hat auch wirklich stattgefunden, wenn auch anders als in dem Roman beschrieben. Ich habe ihn sehr warmherzig, bohémienhaft, sehr salopp erlebt, andererseits aber auch sehr entschieden, in dem was er sagte. Da passte jeder Satz. Er war auch sehr klar in seinen Äußerungen, in denen er sein Verhältnis zu Bamberg, zum dort herrschenden Katholizismus und einer für ihn dort existierenden unkritischen Bevölkerung beschrieb. Ich schätze Hans Wollschläger auch als Übersetzer und Herausgeber von Arno Schmidt, James Joyce, Karl May, da haben wir ihm viel zu verdanken.

Noch eine letzte Frage. In der SZ vom 22.12.2015 gab es einen Artikel über das Münchner Literaturhaus, wer als Nachfolger von Dr. Wittmann, dem langjährigen Leiter des Hauses, in Frage käme. Die Journalistin Antje Weber zählte einige Namen auf, die sie für die Leitung geeignet hielt. Ihr Name wurde auch erwähnt. Hätten Sie es gerne getan?

Das hätte ich mir gut vorstellen können, aber es ist nicht dazu gekommen.

Herr Kraft,
wir Literaturfreunde und Benutzer der Münchner Stadtbibliotheken freuen uns sehr, wenn dem Roman „Alles Tarnung“ und Ihrem Erzählband „Tomaten aus Tulsa“ weitere Bücher folgen werden. Wir danken für das Gespräch.




*APO: Außerparlamentarische Opposition. Die in der Hochphase der 68er-Bewegung so genannte studentische APO wurde im Wesentlichen durch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) getragen.

*RAF: Die Rote Armee Fraktion (RAF) war eine linksextremistische terroristische Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland.


©Steffi.M.Black 2016(Text)
©Catherina Hesse(Bild)