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Gespräche



 06.06.2015 - Titus Müller - Autor 



Titus Müller

Titus Müller ist Schriftsteller und Verfasser vieler historischer Romane. Er erhielt viele Literaturpreise, sowie auch den „Sir Walter Scott-Preis“ und den „C.S.Lewis Preis“.

Herr Müller, Ihr interessanter Vorname Titus wird mit „der Verdienstvolle“ übersetzt. Die Lust, Bücher zu schreiben, wurde Ihnen damit bestimmt in die Wiege gelegt?
Das kam erst nach der Wiege. Meine Mutter ist mit meinen zwei Brüdern und mir oft in die Bibliothek gegangen, Bücher waren damals etwas Kostbares, man musste die seltenen vorbestellen und fragte jedes Mal nach, ob man auf der Warteliste aufgerückt war. Die Freude, wenn man das Buch dann endlich bekam! Besonders beliebt war die Reihe „Der Zauberer der Smaragdenstadt“. Mein Vater ist ebenfalls ein guter Erzähler, er ist von Beruf Pastor und hat uns in der Kindheit wunderbar aus der Bibel vorgelesen oder mit der Mutter Puppentheater vorgespielt. Ich bin also mit Geschichten und Lesen aufgewachsen.

Im Frühjahr 2015 erschien von Ihnen ein neuer Roman: „Berlin Feuerland. Roman eines Aufstands“. Feuerland steht wohl für Oranienburg; was passiert in diesem Buch?

Es ist nicht die Stadt Oranienburg gemeint, sondern die Oranienburger Vorstadt, etwa da, wo die Friedrichstraße zur Chausseestraße wird. Das lag damals außerhalb der Stadt, heute zählen die Straßen zum Bezirk Berlin-Mitte. Dort dampften und stampften die Maschinen in den Fabriken, und die Berliner nannten die Gegend „Feuerland“ wegen all dem Ruß und den Eisengießereien und Waggonfabriken. Viele Fabrikarbeiter und arme Handwerksgesellen lebten dort. Leute, die sich nicht leisten konnten, in die Stadt zu ziehen, denn das kostete damals Zuzugsgeld. Im Roman „Berlin Feuerland“ geht es um die rasanten Wochen im Frühjahr 1848, als unzufriedene Bürger vor dem preußischen Königsschloss für ihre Rechte und für eine Verfassung demonstrierten. König Friedrich Wilhelm der IV. ließ Militär aufmarschieren, die Wut der Leute kochte hoch, und schließlich gab es eine Revolution.

Karl Marx, der im selben Jahr 1848 das Kommunistische Manifest veröffentlicht hat und auswandern musste, kommt in Ihrem Roman nicht vor.
Sicher wird in „Berlin Feuerland“ manche Persönlichkeit vermisst. Ich habe mich ganz auf Berlin, das Schloss und das Armutsmilieu in Feuerland konzentriert.

Am Stadtschloss Berlin, und auch sonst in Berlin-Mitte, hingen zum Erscheinen des Buches überall Plakate mit dem Buchcover. Das ist eine starke Werbung, solche Plakatwände sieht man normaleweise nur in Wahlkampfzeiten. Wie fühlt sich das an, sein Werk auf der Straße plakatiert zu sehen?

Da war ich ganz schön überrascht. Ich war in Berlin für Dreharbeiten für die „RBB Abendschau“, und als ich mit dem Redakteur und dem Kamerateam durch die Straßen ging und dort die Plakate hängen sah, habe ich mich sehr gefreut. Ich habe versucht, den Moment zu genießen, weil ich weiß: Dass für ein Buch derart aufwändig geworben wird, kommt nicht oft im Leben eines Autors vor.

Wer war das Vorbild für Hannes, die Hauptfigur im Roman?

Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte in den wohlhabenden Schichten eine neugierige Lust an den kriminellen und dunklen Ecken der Stadt. Feine Damen ließen sich durch die Armenviertel führen und sahen sich die Armut wie eine Ausstellung an. Als Autor haben mich diese Parallelwelten gereizt, dieses Nebeneinanderherleben in derselben Stadt. Während die einen Klavier übten und nachmittags Sahnetörtchen aßen, liefen die anderen barfuss in den Rinnsteinen und stocherten nach Brauchbarem. Damit ich diese beiden Welten aufeinandertreffen lassen konnte, habe ich Hannes zur Hauptfigur gemacht, einen Habenichts, der feine Damen durch das Feuerland führt.

Wenn Sie zu historischen Themen recherchieren, studieren Sie viel Material, und dabei entsteht in Ihrem Kopf ein lebendiges Bild. Wie funktioniert das?
Eigentlich übers Bauchgefühl. Während ich lese und an die Handlungsorte reise, entdecke ich immer wieder Details, die mich faszinieren. Die fügen sich zu einer Art Film zusammen, der in meinem Inneren abläuft. Dazu mache ich mir Notizen und fange schon an, erste Romanszenen zu schreiben.

Es ist noch nicht so lange her, dass wir Benutzer der Münchner Stadtbibliotheken das spannende Buch „Nachtauge“ über eine deutsche Spionin und die Liebesgeschichte eines KZ-Aufsehers gelesen haben. Vergeht die Zeit so schnell, oder schreiben Sie so schnell?
Wenn ich einen Roman zu Ende geschrieben habe, brenne ich meist schon vor Neugier auf das nächste Thema. Ich bin ein ungeduldiger und überaus neugieriger Mensch. Gleich stürze ich mich ins nächste Buchprojekt. Dass ich so viel schreibe, mag aber auch daran liegen, dass mich dieser Beruf begeistert. Ich danke Gott immer wieder für meinen wunderbaren Job.

Herr Müller, Sie schreiben schnell, das heißt, Ihre Fans und Leser brauchen nicht lange auf ein neues Buch von Ihnen zu warten. Wann machen Sie Schreibpausen?
Urlaub ist nicht notwendig, wenn man eine Aufgabe hat, die einen erfüllt. Natürlich kann es beim Reisen spannend sein, durch den Perspektivwechsel sein eigenes Leben einmal aus der Distanz und quasi von außen zu sehen. Aber davon abgesehen brauche ich keine Erholungspausen vom Schreiben.

Bis vor ein paar Jahren waren Ihre historischen Romane im Mittelalter angesiedelt, mit „Nachtauge“ und „Tanz unter Sternen“ wagten Sie den Sprung ins 20. Jahrhundert. Wie weit werden Sie gehen, schreiben Sie demnächst Gegenwartsromane?

Ich rücke zumindest noch näher ans Heute heran. Das Ereignis, das ich gerade für den nächsten Roman recherchiere, hat sich in den 1950er Jahren zugetragen. Dass ich einmal einen richtigen Gegenwartsroman schreibe, bezweifle ich. Ich habe immer die Sorge, die Leser zu langweilen, und habe keine Antwort auf die Frage, wie man zum Beispiel eine Straßenbahnfahrt durch München so beschreibt, dass es spannend ist für Leute, die jeden Tag diese Fahrt unternehmen. Historische Alltagssituationen zu beschreiben fällt mir leichter. Ich mag den Blick auf das Damals, weil er mir hilft, das Heute mit anderen Augen zu sehen.

Sie beschreiben Menschen und Lebensumstände in großer Armut. Wie geht’s da einem, der in einer warmen Wohnung mit fließend Wasser und elektrischem Licht am Schreibtisch sitzt und über Wohn- und Lebensverhältnisse in Feuerland schreibt?

Tja, das ist eine gute Frage. Es hat mich zum Nachdenken gebracht über das, was wir heute als selbstverständlich hinnehmen. Die Wahrheit ist: Wir leben wie Könige. Und wissen es oft nicht mal.

Weinen Sie auch, wenn Szenen allzu traurig sind?

Das kommt durchaus vor. Ich sitze dann heulend vorm Rechner und denke mir: Wenn ich hier weinen muss, müssen es die Leser vielleicht auch.

In „Tanz unter Sternen“ erleben wir Leser mit, wie einer Mutter 1912 beim Untergang der Titanic das Kind in den Armen stirbt. Gefriert Ihnen da nicht auch das Blut in den Adern?
Das war eine der Szenen, wo’s mich richtig gebeutelt hat. Ich hatte es nicht mal geplant, die Geschichte hat mir diese Szene abgefordert. Mein Impuls als Autor ist natürlich, Schrecklichem auszuweichen, ich bin ein empfindsamer Mensch. Aber die Realität ist nicht immer eine Blümchenwiese, und ich muss sie schildern, wie sie ist.

In „Berlin Feuerland“ haben die Menschen eine moderne Sprache, obwohl die Handlung 1848 stattfindet. Es wird zum Beispiel davon geredet, die „City aufzumischen“. Haben die Menschen vor 150 Jahren nicht pathetischer dahergeredet?

Ganz sicher. Aber wenn meine Figuren reden, sollen die Leser die Empfindung dahinter verstehen. Wenn ich schreiben würde, wie damals gesprochen wurde, würden die heutigen Leser denken, dass die Figuren hölzern sind. Und den Begriff „City“ gab es in Berlin wirklich, er ist mir bei den Recherchen in Briefen, Tagebüchern und Reiseberichten begegnet. Damals wurde sogar schon „Demo“ gesagt. Das habe ich allerdings lieber nicht in den Roman aufgenommen, das hätte mir doch keiner geglaubt.

Als Autor ist man sehr mit seinen Hauptfiguren verbunden. Verwandelt man sich im Alltag und nimmt Haltung und Gesten seiner Hauptpersonen an?

Da müsste ich drüber nachdenken, aber spontan sage ich, dass ich immer derselbe bleibe. Es ist eher umgekehrt, ich färbe auf die Figuren ab mit meinen Zweifeln, Fragen und Macken.

Sie sind zum Histo-König des Jahres 2014 gewählt worden. Wer macht einem zum Histo-König, und was zeichnet einen Histo-König aus?
Das Internetportal www.histo-couch.de war lange Zeit das einzige im deutschsprachigen Raum, das sich nur dem historischen Roman widmet (inzwischen gibt es auch www.histo-journal.de . Die Leser wählen einmal im Jahr einen Autor zum Histo-König, weil dessen Buch sie gepackt hat. 2014 wurde ich für „Nachtauge“ gewählt. Ich war überrascht, „Nachtauge“ ist 1943 angesiedelt und damit kein typischer historischer Roman. Dass dieser Stoff die Leser so begeistert hat, freut mich umso mehr.

Journalisten fragen gerne Autoren nach der Bedeutung ihrer Werke. Wir möchten gerne von Ihnen wissen, ob Sie Botschaften für uns Leser haben?
Ich habe viele Fragen und brauche Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, um Antworten darauf zu finden. Meine Protagonisten sind da genauso auf der Suche wie ich. Wenn die Leser angeregt werden, über manche Frage ebenfalls nachzudenken, freue ich mich. Das kann unser Miteinander als Menschen betreffen, die Frage nach Gott und dem Sinn von allem, aber auch ganz einfach das Thema: Wie kann ich glücklich leben?

Herr Müller, verraten Sie uns, was Sie gerne lesen?
Ich bin ein „Alles-Leser“. Ich lese Biographien, Klassiker und Sachbücher, historische Romane, Fantasy, Thriller, Briefsammlungen, selbst die Zutatenliste auf der Müslipackung oder dem Marmeladenglas lese ich mit Hingabe. Auf meine Lesereisen nehme ich meist vier, fünf Bücher mit, um auf keinen Fall in die Verlegenheit zu geraten, einmal keinen frischen Lesestoff zur Hand zu haben. Ich lese Anspruchsvolles, aber auch ganz Schlichtes. Es ist wie beim Essen: Vorspeise, Hauptspeise, Nachtisch. Ich mag die Abwechslung.

Was ist mit Krimis?
Krimis lese ich nur selten. Irgendwie bin ich da noch nicht richtig fündig geworden. Es gibt ja viele Arten von Krimis, und „meine“ Art suche ich noch. Bestseller lese ich zeitverzögert, meistens ein paar Jahre nach Erscheinen.

Jüngst haben Sie im Buch „Vom Abenteuer, einen Roman zu schreiben“ einen persönlichen Einblick in Ihre Schreibpraxis gegeben. Auch über das Glück haben Sie Bücher geschrieben. Was bewegt Sie dazu?
Wenn ich 'was Interessantes gefunden habe, will ich es gleich aufschreiben. Das ist für mich ein unwiderstehlicher Impuls. So kam es zu den Büchern über das Glück. Ich wollte Situationen festhalten, die mich bezaubert haben. Zum Beispiel den Schnee zu hören, wenn er schon ein paar Tage auf den Ästen liegt, wie er, halb gefroren, klirrend vom Wind heruntergeweht wird. Oder wie es ist, in der Badewanne unterzutauchen und seinen eigenen Herzschlag zu hören: Wie zuverlässig das Herz schlägt, und wie verletzlich es dabei klingt! Da wird einem die Kostbarkeit des Lebens wieder bewusst.

Herr Müller, Sie sind ein begnadeter Schreiber. Sie haben die Fähigkeit, sich in verschiedenste Situationen hinein zu denken. Wie war das, als Sie ein heißes Eisen anfassten und über die Bibel nachdachten? Sie sagen, die Bibel berichtet nur knapp, und beim Lesen wird häufig übersehen, wie umwälzend, unfassbar und großartig die Ereignisse waren, die geschildert werden. Dazu haben Sie das Buch „Der den Sturm stillt“ geschrieben. Wie reagieren die Kirchen darauf? Sind Sie zu Lesungen oder zu Diskussionen eingeladen worden?
Die Bibel schildert zu einzelnen Ereignissen oft nicht mehr als ein paar knappe Verse. Ich wollte mich in die geschilderten Situationen tiefer hineindenken und mitempfinden, was es damals bedeutete, wenn man zum Beispiel als römischer Hauptmann zu Jesus ging, um ihn um Rat für seinen kranken Knecht zu fragen, oder wie es in damaligen Ohren klang, wenn Jesus sagte: Werdet wie die Kinder. Die Kirchen reagierten positiv darauf, ich bin in verschiedene Städte eingeladen worden.

Liebäugeln Sie mit historischen oder literarischen Figuren, die Sie faszinieren, aber bei denen Sie sich nicht trauen, ein Buch darüber zuschreiben?
Über Winston Churchill würde ich gern einen Roman schreiben, ich finde ihn hochspannend mit seinen hellen und seinen düsteren Seiten. Aber das wäre eine monumentale Aufgabe. Eine Romanbiographie über Churchills Leben, da würde ich Jahre brauchen.

Herr Müller, wir Leserinnen und Leser, wir Benutzer der Münchner Stadtbibliotheken sind von Ihren Büchern fasziniert und warten mit Spannung auf weitere Romane von Ihnen. Wir danken für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2015 (Text)
©Sandra Weniger (Bild)