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Gespräche



 21.06.2013 - Das Gespräch mit Konstantin Wecker 



Konstantin Wecker

Konstantin Wecker
ist Rebell, Musiker und Autor von Gedichten, Songs und Prosa. Konstantin Wecker war vor 10 Jahren dabei, um sich für das Bücherbegehren einzusetzen, als in München die Schließung einer Stadtteilbibliotheken drohte.


Was hat Sie bewegt, sich damals vor 10 Jahren für die Erhaltung der Stadtbibliotheken einzusetzen?

Das Gleiche wie es mich heute bewegen würde. Ich hab' das Gefühl, dass in den letzten Jahren, und das begann bereits schon vor mehr als 10 Jahren, dass ein bestimmter Prozentsatz unserer Gesellschaft nur noch abgespeist wird und als dummes Konsumvieh ihr Armsein fristen soll, gefüttert u.a. von den neuen, modernen Medien. Ganz anders als im letzten Jahrhundert, als man die Armen versuchte zu bilden. Da haben sich große Bildungsorganisationen entwickelt, um diesen Leuten in der Gesellschaft eine wichtige Funktion zu geben, eine mitwirkende. Das ist völlig vorbei. Ich merke, dass man Menschen trifft, die ganz offen oder gar mit Stolz sagen, sie haben eigentlich noch kein Buch gelesen. Gerade bei jungen Menschen erlebt man es immer mehr. Was ist das für eine Tragödie, wenn man keine Bücher liest! Wenn man nie etwas liest, hat man nur eine Vorstellung von der Wahrheit, und eine Vorstellung von der Lüge. Das Lesen ist meines Erachtens der einzige wirkliche Grund, warum man auch zur Selbstreflexion veranlasst wird. Die Tatsache kennen zu lernen, dass es nicht nur ein Ich gibt, wie man glaubt, sondern dass es tausende Ichs gibt, die man im seinem Leben durchwandert. Lesen ist Nahrung für die Seele, und diese Nahrung sollten wird beschützen.

An welchen Büchern und Lese-Erlebnissen haben Sie sich selbst entdeckt?
Es gibt für mich ein paar ganz entscheidende Autoren, die mich mein Leben lang begleitet haben. Rainer Maria Rilke ist ein wichtiger, dann die Lyrik des Expressionismus. Auch Gottfried Benn. Die Lyrik überhaupt, die Lyrik hat mich geprägt und ist für mich immer eine wichtige Nahrung gewesen. Ohne Lyrik hätte ich meine Pubertät nicht gut überstanden. Trakl war damals eins meiner Überlebensmittel.

So finstere Gedichte?
Ja, dieser Trakl, bei ihm hab ich festgestellt, dem geht es auch nicht besser als mir, und das hat mich beruhigt. Ich schätze Oskar Maria Graf, und Dostojewski ist einer meiner wertvollsten Autoren, die meine Lebenserfahrung erweitert haben. Dazwischen gibt es natürlich ganz, ganz viele, die ich auch gerne lese.

Wo sind die Bücher hergekommen, in welchen Bibliotheken wurden sie greifbar?
Ich habe damals im Lehel gewohnt. Die Altstadt Bibliothek nahe beim Deutschen Museum gibt es nicht mehr. Meine Eltern hatten eine große Bibliothek, aus der ich mich bedienen konnte, aber die Lyrik habe ich selbst mit meinem Taschengeld gekauft und so habe ich mir eine eigene Bibliothek zugelegt. Lyrik war für mich immer, und ist es auch heute, wie Brot.

Herr Wecker, in Ihrer Biographie „Die Kunst des Scheiterns“ ist zu lesen, dass sie in Büchern Trost finden. Wie beeinflusst Sie das?
Wenn man denkt, man ist ganz alleine auf der Welt mit seiner Meinung und Ansicht und kann mit niemandem darüber reden - der wird ja wahnsinnig, wenn der nicht in Büchern Trost findet.

Sie lieben Rilke, den großen, kompromisslosen Dichter Rainer Maria Rilke. Hat Rilke Sie zu Liedtexten inspiriert?
Ja alle Dichter haben mich zu Liedtexten inspiriert. Das war überhaupt der Anlass, auf die Bühne zu gehen, Lyrik und Musik zu verbinden. Georg Kreissler war der Vater meiner Taten.

Gibt es für Sie Lyrik ohne Musik?
Nein, jede gute Lyrik ist musikalisch und hat Musik. Selbst der gute alte Goethe, dem nachgesagt wird, dass er mit Musik nicht viel am Hut hatte und auch keine Musikalität, hat seine Gedichte rhythmisch und musikalisch formvollendet aufs Papier gebracht.

Und von welcher Seite ist bei Ihnen der Zugang gekommen, zuerst von der Musik oder zuerst von den geschrieben Gedichten?
Der Zugang war natürlich die Musik. In meinem Elternhaus ging es sehr musikalisch zu. Mit 5 Jahren spielte ich Musik, und mein erster Auftritt war mit 6 Jahren, als ich mit Blinddarmdurchbruch drei Wochen im Krankenhaus lag. Ich bin in der letzten Woche von Krankenzimmer zu Krankenzimmer gegangen und hab "La donna é mobile" gesungen und dafür Schokolade kassiert.

Als Sie in Wohngemeinschaften lebten, machten diese Lesungen. Das muss sehr kreativ gewesen sein. Was wurde damals gelesen?
Wir hatten einen Dichterkreis. Damals waren wir am Wilhelm Gymnasium, unser Kreis sprach sich 'rum, da kamen so dreißig Leute zusammen. Wir nannten uns "die Menge". Gegenseitig haben wir uns Gedichte vorgetragen. Ich wurde immer belächelt und galt als altmodisch. Wir sind damals über Land gestreift, es gab damals die ersten Diskos, und dort haben wir Lyrik vorgelesen. Zum Teil haben wir sehr moderne Texte vorgelesen. Es kam nicht immer gut an, aber da wir so exotisch waren, hatten wir Aufmerksamkeit, das war ganz witzig.

Jazz und Lyrik kann man ja verstehen, aber Disko und Lyrik?
Na ja, die Musik wurde natürlich abgeschaltet.

Herr Wecker, Sie haben eine unbändige Lebensfreude, tragen die Klassiker dazu bei? Welche Autoren holen Sie immer wieder aus Ihrem Bücherschrank hervor?
Es gibt immer wieder welche, die ich hervorhole, es gibt ebenso auch Gedichte, die einen ein Leben lang begleiten, und die sich mit der eigenen Erfahrung wunderbar wandeln. Gottfried Benn nehme ich immer wieder zur Hand, er fasziniert mich. Als Typ war er sicher nicht der angenehmste, er hat aber unglaubliche Gedichte geschrieben, wo einem der Atem stehen bleibt. Man muss verstehen, Gedichte werden geschrieben wie Musik, sie sind irrational. Man kann sich gute Gedichte nicht erdenken, man kann es zwar versuchen, aber ein Gedicht muss einem passieren. Rilke ist ein gutes Beispiel. Rilke spricht über Themen, die wir mit der Ratio nicht erfassen können, ob das Gott oder der Tod ist. Bei Gedichten entstehen Wortbilder, deswegen berührt man in Gedichten Themen, die man mit dem Verstand ganz anders angehen würde.

Welches Gedicht ist Ihnen "passiert"?
Mein wichtigstes Gedicht in der letzten Zeit: Jeder Augenblick

Jeder Augenblick ist ewig,
wenn du ihn zu nehmen weißt -
ist ein Vers, der unaufhörlich
Leben, Welt und Dasein preist.

Alles wendet sich und endet
und verliert sich in der Zeit.
Nur der Augenblick ist immer.
Gib dich hin und sei bereit!

Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden.
Gönn´ ihm keinen Blick zurück.
In der Zeit muss alles sterben -
aber nichts im Augenblick.


Was war das für eine Situation?
In der Zeit war ich in der Toskana. In dieser Zeit hab ich Wut und Zärtlichkeit geschrieben.

Begleiten Sie auf Ihren Tourneen Lieblingsbücher?
Ja,ich hab immer welche dabei. Ich kaufe auch immer welche, wenn ich unterwegs bin. e-book benutze ich auch, hab' mich mit ihm noch nicht ganz angefreundet, aber was ich geil finde ist, du liest eine Rezension und willst das Buch sofort haben, dann kann ich es schon nach 3 Minuten auf meinen e-book Reader laden. Das hat was.Ich habe gerade das Buch von Florian Illies, "1913" mit Begeisterung gelesen. Klasse Buch. Und wenn Euch das gefallen hat, empfehle ich das Buch von Bernhard Viel über "Egon Friedell, der geniale Dilettant". Das ist eine gelungene Fortführung der Geschichte.

Es ist schwierig, bei jungen Leuten mit Büchern zu landen. Haben Sie eine Vorstellung oder Vision, wie eine Bibliothek als ein Platz interessant werden könnte, in dem junge Menschen Bücher entdecken?
Schön sind Loungen. Für Kinder und Jugendliche gibt es sie bereits, aber ich denke, wir müssen uns mit dem Orwellschen Orakel abfinden, dass wir weit weg von der Stadt mit unseren Büchern leben werden, so wie in dem Buch Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.

Es gibt einen Plattenschatz aus den 70igern. Es ist eine Doppel LP, schwarzes Cover, weiße Gesichter. Und Sie haben komponiert! Ahnen Sie, welche Platte ich meine? "Kollektiv Rote Rübe presents".Erinnern Sie sich noch an die Aufführung Frauenpower 1974 auf dem Marienplatz?
Aber klar, natürlich, an die Rote Rübe kann ich mich gut erinnern, das war eine tolle Zusammenarbeit, und es war spannend, dass sich die Frauenpower-Frauen dann doch erlaubt haben, einen männlichen Komponisten dazu zu nehmen. Meine politische wie meine feministische Denkweise ist damit auch geprägt worden.

Herr Wecker, verraten Sie uns Ihren Lieblingskuchen von Annik Wecker, Ihrer Frau, die das hübsche Café in der Franz-Joseph-Strasse hat?
Die Himbeer-Trüffel-Tarte ist einfach grandios, und ich mag auch alles, wo auch Kokos drin ist.

In den Bibliotheken werden von Bücher & mehr e.V. nicht nur Medien gesponsert, es ist auch der Wunsch ausgesprochen worden, Wii Spiele in den Bibliotheken zu haben, in der leisen Hoffnung, dass sich die verschieden Medien begegnen, d.h. Jugendliche, die dabei auch Bücher entdecken sollen.
Ist idealistisch gedacht. Wenn man wie ich zwei Jungs hat, die sich perfekt in dieser Spiele-Welt auskennen, sieht das ganz anders aus. Man darf nicht vergessen, dass diese Spiele der Feind der Bücher sind, und ich halte die Computerspiele für den größten Feind jeder Form von Erziehung. Erstens macht es süchtig, und zweitens wird dir schlecht dabei, denn oft sind die besten Spiele die Killerspiele.

Noch eine letzte Frage: Stadtbibliotheken haben einen kulturellen Auftrag und sollen der Volkskultur bzw. der Bildung dienen. Sie sind Wissensspeicher. Das wird als selbstverständlich hingenommen, was sollte geschehen, um sie attraktiver zu machen?
Man könnte überlegen, ob sich die Leser nicht mit den anderen Lesern der Bibliothek in den Bibliotheken treffen wollen, so wie früher Salons diese Aufgabe übernommen hatten.

Herr Wecker, Sie sind dem Klavierspielen und dem Schreiben treu geblieben.
Bei Max u. Moritz heißt es "..ach was muss man doch von bösen Buben hören oder lesen". Was werden wir demnächst von Ihnen hören oder lesen?

Ich werde wieder ein Buch schreiben. In jüngerer Zeit habe ich zwei Bücher 'raus gebracht. Das eine mit Bernard Glassman, da geht es "Ums Tun und nicht ums Siegen". (Liedermacher trifft Zen-Meister, zwei leidenschaftliche Verfechter für die Gerechtigkeit, das andere Buch heißt: "Meine rebellischen Freunde".


Wir von Bücher & mehr e.V., und alle Leser und Leserinnen freuen uns, bald wieder einem Film wie Wader-Wecker-Vaterland zu sehen, oder Sie zu hören; und natürlich sehr gerne weiteres von Ihnen zu lesen. Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Mit Konstatin Wecker sprachen
Steffi M. Black u. Ulrich Chaussy



©Steffi M.Black 2013(Text u.Bild)